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Rüdiger Stutz
"Welche Entwicklungsprojekte und Unternehmenskulturen förderten die Wirtschaftsberater der NS-Gauleitung Thüringen zwischen 1936 und 1945?"
Vortrag in der Kleinen Synagoge, Erfurt, 20. Juni 2000
Auszug:
Die Wilhelm-Gustloff-Stiftung hielt auch als Hauptgesellschafter die Anteilsmehrheit der Ventimotor GmbH. Weimar. Über einen Kleinstanteil dieser Gesellschaft verfügte außerdem ihr Geschäftsführer, der bereits eingeführte Gauwirtschaftsberater W. Schieber.
Der gab denn auch mitten im Krieg, im Jahre 1941, mutmaßlich aus Mitteln des Reichsministers für Bewaffung und Munition finanziert, eine kleine Veröffentlichung über die Forschungsarbeiten dieser Ventimoter GmbH. heraus. Auf dem Versuchsgelände dieser Gustloff-Tochter beschäftigten sich deren Ingenieure mit der Verbesserung des Wirkungsgrades der damaligen Windräder und Windturbinen, um die Propellerblätter von Kleinwindkraftanlagen effektiver für die Energieumwandlung ausnutzen zu können. Sie wurden dabei vom Leiter der aerodynamischen Abteilung der Ingenieurschule Weimar, Ulrich Hütter, unterstützt, der in der Bundesrepublik Deutschland zum "Windpapst" schlechthin aufsteigen sollte.
Was W. Schieber dem Leser in dieser Publikation verschwieg, offenbaren uns Dokumente des Bestandes "Wilhelm Gustloff Werke. Nationalsozialistische Industriestiftung" aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar. Der Entwicklung solcher Kleinwindkraftanlagen wurde nicht nur seitens diverser staatlicher Stellen, des Gauleiters der NSDAP Thüringen und Rüstungsministers Albert Speer großes Interesse entgegengebracht und durch den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, mitfinanziert; vielmehr sollten diese Windräder nebst Hochleistungsakkumulatoren zur Energiespeicherung vornehmlich in den von der Wehrmacht okkupierten Ostgebieten Polens und der Sowjetunion aufgestellt, erprobt und eingesetzt werden. Tatsächlich erfahren wir aus dem jüngst edierten "Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42", dass sich der SS-Standartenführer Dr. W. Schieber am 6. März 1941 mit dem Reichsführer SS zu einer Besprechung getroffen hat. In ihr ging es nach dieser Quelle u.a. um Fragen eines "Windmotors". In der erwähnten Broschüre W. Schiebers hieß es noch euphemistisch: "Es ist ein genialer Gedanke, die großen Gebiete im Osten wirtschaftlich zu erschließen und ihren Siedlern die Annehmlichkeiten der Zivilisation und die Unterstützung der Technik zu geben, ohne dabei die Methoden des riesigen Verbrauchs an Kohle und des Baues von Fernleitungen anzuwenden. ... Die Windkraft hat plötzlich durch die Erweiterung unseres Ostraumes Aufgaben erhalten, die wiederum über die Begrenzung auf den Osten hinausgehen."
Die Ingenieure um W. Schieber erstrebten einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad dieser Kleinwindkraftanlagen und die rasche Modernisierung der dem zugrundeliegenden Technologie. Der Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie zeigte sich demzufolge u. E. weniger im Rückgriff auf diese an sich "mittelalterliche" Technik, sondern in dem Bemühen, energetisch autarke Bauernwirtschaften zu ermöglichen. Hier übernahmen Gauwirtschaft und -technik die Aufgabe, zur Erhaltung eherner "deutscher Kulturwerte" beizutragen. So diente etwa das ebenfalls von W. Schieber über Jahre geleitete Schwarzaer Werk der Thüringischen Zellwolle AG. in seinen Augen eben nicht nur der schnöden Ersatzstoffgewinnung. Vielmehr galt es auf diese Weise auch den "deutschen Wald" zu erhalten und damit ein wichtiges Symbol des nationalsozialistischen Wertekosmos.
Die aerodynamische Verbesserung der Propeller der Ventimotor GmbH. sollten in diesem Verständnis helfen, die bäuerliche Landwirtschaft wieder rentabel und als "Familienbetrieb" konkurrenzfähig zu machen. Letzteres meint hier natürlich den "erbgesunden", "fortpflanzungsfreudigen" und stadtfernen Kleinbetrieb deutscher Bauernfamilien. Ihm sollte mit dem Ventimotor-Projekt das Tor zu einer von der SS-Führung vorgeplanten Zukunft geöffnet und damit zugleich eine dauerhafte Existenzgrundlage gesichert werden. Denn es ging letztlich um den Aufbau der energetischen Infrastruktur für die im osteuropäischen Okkupationsraum zu errichtenden "Wehrbauernhöfe". Ferner kann man der zitierten Textstelle aus der Schieber-Broschüre entnehmen, dass der spätere Brigadeführer der SS die eroberten Ostgebiete nicht als periphere "Spielwiese" der Reichsführung dieser Parteigliederung angesehen hat. Denn der Zusammenhang mit den Herrschaftsverhältnissen im sog. "Altreich" liegt auf der Hand: die ukrainischen und russischen Rohstoffressourcen mussten dauerhaft dem Kern des Großgermanischen Reiches gesichert werden, um den auf fünfzehn Jahre angedachten "großen Krieg" mit den Überseemächten durchhalten und gewinnen zu können. Insofern kam dem ingenieurtechnischen Erfinderdrang der kleinen Weimarer Versuchsfirma entgegen, dass in den fernen Räumen des Ostens ein wesentlicher Vorteil ihrer energiewirtschaftlichen Konkurrenztechnologien entfiel, nämlich die kostengünstigeren Überlandzentralen der großen Stromversorger in Mitteleuropa. Außerdem hätte nach dem Willen der Schieber & Co. den Wehrbauernhöfen ausreichend Stahl aus den besetzten sowjetischen Hüttenwerken zur Errichtung ihrer Windkrafttürme zur Verfügung gestanden.
Natürlich mussten die Arbeiten auf dem Weimarer Versuchsfeld im Zuge der Ausweitung der Kriegführung spätestens im Jahre 1944 aufgegeben werden. Die Ingenieure der Ventimotor GmbH. wurden auf ihr Drängen hin in rüstungswichtigere Betriebe des Gustloff-Konzerns versetzt. Überhaupt griff unter der ingenieurtechnischen Intelligenz nach Einschätzung von K.-H. Ludwig eine zunehmende Desillusionierung über den Stellenwert "deutscher Technik" um sich. Eine Ausnahme bildeten da wohl nur jene Ingenieure und Techniker, die in Großprojekten der "Big science" wie das A 4-Programm eingebunden blieben.
Vermutlich haben die meisten Ingenieure, Techniker und Naturwissenschaftler die NS-Ideologie im "Dritten Reich" als Parteiauffassung abgelehnt, auch die antisemitischen Ausschreitungen in der Pogromnacht von 1938 und den Krieg, zumindest seitdem dieser allnächtlich nach Deutschland "heimkehrte". Sie stritten mit den Parteifunktionären um die Erhaltung ihrer Forschungsautonomie und fachmethodischen Rationalität, eben um eine professionelle "Freiheit des Urteils", um mehr nicht. Für politischen Widerstand wäre wohl nur vor 1933 Gelegenheit gewesen. Dennoch haben sie sich durch ihre Zusammenarbeit mit den Krauchs und Schiebers in die nationalsozialistische Herrschaft eingefügt, sie nach außen vertreten und fachlich unterstützt. Der bereits angeführte H. Mehrtens nannte dies Kollaboration. [17] Wer diese Wahrheit verbergen wolle, spreche vom Missbrauch der Wissenschaft und Technik durch die Politik, äußerte Klemens Polatschek in einem Zeitungsartikel, der 1992 aus Anlass der 50. Wiederkehr des ersten Starts der Flüssigkeitsrakete A 4 auf dem Gelände der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde-Ost erschienen ist