Woher kommt der Strom und was er kostet
Welcher Kraftwerksmix gewährleistet eine nachhaltige
Versorgung mit elektrischer Energie?
Prof. Dr.-Ing. Helmut Alt
Die Palette heutiger Stromangebote reicht von grünem
Naturstrom über den seit der Jahrhundertwende bekannten
Wasserkraftstrom, heute natürlich "Aqua Power"
genannt, bis zu modern gelb oder blau virtuell bunt
gefärbtem Strom. Das legt die Frage nahe, wie diese
Mischung in unsere Steckdose gelangt. Die Fachleute
sprechen da von dem sogenannten Kraftwerksmix. Die von
der EU 1997 aufgegebene und in unserem Land seit 1998 in
Gesetzestexte gegossene Liberalisierung und
Globalisierung des Strommarktes trägt dabei sowohl auf
der Einkaufsseite wie auf der Verkaufsseite immer neue
Früchte. Die sehr erfolgreiche Förderung der
Windenergie mit 17,8 Pf/kWh Einspeisevergütung hat deren
Anteil an der Stromproduktion bei uns in zwei Jahren
vervierfacht auf nunmehr 2%. Der Sonnenenergieanteil
erfreut sich dank des 100.000 Dächer Programms und einer
Vergütung von 99 Pf/kWh noch höheren Steigerungsraten
und ist inzwischen auf 0,01% angestiegen.
- Der Bürger fragt sich immer mehr, welcher Strom
kommt nun aus meiner Steckdose?
- Ist dieser sogenannte "Mix" durch den
Vertragspartner oder durch Naturgesetze
bedingt?
- Kann die Werbung Naturgesetze besiegen?
- Wo geht die Reise bezüglich einer nachhaltigen
Versorgung mit elektrischer Energie hin?
- Wen kann man noch vertrauen?
Zunächst speisen physikalisch bedingt alle Einspeiser
den Strom als elektrische Energie wie einzelne Zuflüsse
in einen großen See ein. Im Stromgeschäft besteht
allerdings im Unterschied zu einem wirklichen See die
unbedingte Notwendigkeit, den Pegel des Wasserstandes
peinlich exakt auf ein bestimmtes Niveau zu regeln. Das
elektrische Regulativ ist die Frequenz, deren Nennwert
von 50 Hertz nur um bis zu etwa 0,1 Hz von diesem
Sollwert abweichen darf. Daher ist beim Strom nicht die
elektrische Arbeit in kWh, sondern die gleichzeitig in
Anspruch genommene Leistung in kW die dominierende
kostenverursachende Größe. Bei der Entnahme aus diesem
See ist die ursprüngliche Herkunft natürlich nicht mehr
lokalisierbar. Vielmehr bekommt jeder den rechnerisch
prozentualen Anteil an dem eingespeisten Vorrat ab und
dies offenbar unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der
Entnahme die Sonne scheint oder der Wind weht. Da sich
elektrische Energie praktisch nicht speichern läßt (nur
in relativ kleinen Mengen mittels Akkus oder in
größeren Mengen nur indirekt mittels Wasser in
Pumpspeicherkraftwerken) erfordert der exakt konstant zu
haltende Pegel des Wasserstandes im See parallel zu jeder
Entnahme eine mindestens im Minutenbereich zeitnahe
Einspeisung. Diese Einspeisungen dürfen daher nicht
witterungsabhängig sein, d.h. dargebotsabhängige
Kraftwerke wie Wind- und Sonnenenergie-Kraftwerke sind
für die zuverlässige, Leistungsbedarfsdeckung nicht
geeignet. Sie erparen daher keine Kraftwerke, sondern nur
den Brennstoffeinsatz in den vorhandenen
Kraftwerken.
- Welche Anteile befinden sich nun in dem See, aus
dem alle Bürger in Deutschland den jeweils
benötigten Bedarf an elektrischer Energie
spontan entnehmen?
Dies sind derzeit 30 % deutsche Kernenergie zu 4
Pf/kWh, 1% russische Kernenergie zu 2,3 Pf/kWh, 25 %
Braunkohle zu 4 Pf/kWh, 26 % Steinkohle zu 9 Pf/kWh, 10 %
Erdgas zu 5 Pf/kWh, 4% Wasser zu 4-15 Pf/kWh, 2 % Wind zu
17,8 Pf/kWh, 0,01 % Sonne zu 99 Pf/kWh und rd. 2% Müll
bzw. sonstige Einspeisungen zu 6 Pf/kWh. Daraus ergibt
sich ein mengenanteiliger Mischpreis von rd. 5,8 Pf/kWh.
Bis zur Steckdose in der häuslichen Wohnung kommt dazu
das Nutzungsentgelt für die Leitungstransporte von 12
bis 15 Pf/kWh, staatliche Abgaben wie Ökosteuer,
Konzessionsabgabe, erneuerbare Energiebelastung und
Mehrwertsteuer von insgesamt 10 bis 13 Pf/kWh, Entgelt
für die Messung von 1,5 Pf/kWh also insgesamt rd. 30
Pf/kWh. Der Konkurrenzkampf der Anbieter um den privaten
Kunden geht also lediglich um die erstgenannten 5,8
Pf/kWh - Anteil für die Stromerzeugung bzw.
Strombereitstellung. Der übrige Preisanteil von über 24
Pf/kWh ist je zur Hälfte durch den Netzbetreiber und den
Gesetzgeber bedingt und somit für die Stromlieferanten
als Wettbewerbsanbieter unbeeinflußbar fest vorgegeben.
Es ist daher verständlich, dass der
harte Wettbewerb im Strommarkt eine günstige
Strombeschaffung erfordert. Schon Ende 1999 berichtete
das Magazin "Stern" über einen erfolgreichen
Vertragsabschluß, wonach das Bayernwerk (heute e-on
Energie) jährlich fünf Milliarden kWh
"Atomstrom" aus Rußland bezieht. Dies
entspricht einem halben Kernkraftwerk bei uns.
"Bereits im März hat Bayernwerk
- Chef Otto Majewski einen ersten großen Importvertrag
besiegelt. Ab 2001 wird der russische Energieversorger
Rao EES Rossiji jährlich rund fünf Milliarden
Kilowattstunden Atomstrom nach Deutschland schicken. Die
Lieferung ersetzt rechnerisch ein halbes deutsches
Kernkraftwerk- zu einem Preis, der jeden westlichen
Konkurrenten ruinieren würde: 1,8 und 2,5 Pfennig je
Kilowattstunde. ..."
Damit ist in jeder Steckdose in unserm Land bereits 1
% russischer Kernenergiestrom, übrigens auch in den
Steckdosen der Kunden, die glauben ausschließlich
grünen Strom zu beziehen. Dies folgt aus dem vorhin
dargestellten Modell, wonach zunächst alle Einspeisungen
in einen großen See hinein fließen und somit nicht mehr
herkunftsabhängig separiert werden können.
Auch wären bei Abschaltung der
Kernenergieeinspeisungen die übrigen 70 % aus
technischen Gründen ebenfalls nicht verfügbar, es sei
denn ein Diktator würde bestimmte Bevölkerungskreise
per Dekret von der Stromversorgung definitiv
ausschließen. Dies kommt daher, da eine nahezu konstante
Frequenz die Ausgeglichenheit von Erzeugung und Verbrauch
insbesondere auch zur Spitzenlastzeit eines jeden Tages
zwingend erfordert. Dies ist im übrigen auch der Grund
dafür, warum sich die praktische Umsetzung des freien
Kundenwechsels zwischen den einzelnen der rd. 900
selbständigen Energieversorgungsunternehmen entsprechend
den gesetzlichen Vorgaben des liberalisierten
Strommarktes so schwierig gestaltet. Der Strom fließt
eben nicht gemäß gesetzlicher oder vertraglicher
Abmachungen, sondern entsprechend unbeeinflußbarer
Naturgesetze und löst dementsprechend auch Kosten bei
den Netzbetreibern aus. Da eine fortlaufend
registrierende Leistungsmessung mit jährlich rd. 35.000
Meßwerten für die Meßwerterfassung und
Datenverarbeitung etwa 3.000 DM Jahreskosten verursacht,
ist für die Abrechnung von Kunden mit
Jahresverbrauchswerten unter 100.000 kWh nur eine
Abrechnung auf Basis von Standardlastprofilen
wirtschaftlich vertretbar. Aber auch dieser Kompromiß
erfordert für die kostenmäßige Akzeptanz der
Netzbetreiber noch einen erheblichen daten- und
abrechnungstechnischen Aufwand und beinhaltet ein
erhebliches betriebswirtschaftliches Risiko.
Die Mehrerlöse aus teureren "Grünen
Tarifen" beinhalten zwar einen zusätzlichen
Kostenbeitrag für die Finanzierung höherer
Strombeschaffungskosten z.B. aus Wind- oder
Sonnenenergie, den der Stromkunde aber ebenso durch eine
zweckgebundene Spende an seinen Stromlieferanten noch
klarer abgrenzbar und ohne kostenträchtige
Zertifizierung erbringen könnte. Jedenfalls können bei
z.B. 100 DM jährliche Mehrkosten höchstens rd. 100 kWh
Sonnenstrom zusätzlich in seinem Strommix enthalten
sein, alles andere ist Etikettenschwindel. Insbesondere
ist es gegenüber allen Stromkunden unseriös, den immer
schon vorhandenen Wasserkraftwerks-Stromanteil, der
leider in den letzten 100 Jahren von 100% wegen der
Zunahme des elektrischen Energiebedarfs bis heute auf rd.
4% abgesunken ist, nun aus dem allgemeinen Strommix
herauszurechnen und diesen Anteil nur noch als
"Grüner Strom" virtuell bestimmten Kunden
exclusiv zuzuordnen.
Eine Steigerung des Sonnenenergieanteils in die
Prozentbereiche wird sich schneller als uns allen lieb
ist als nicht finanzierbar erweisen. 6 %
Sonnenenergieanteil würde einen jährlichen
Subventionsanteil in der Höhe der heutigen gesamten
Stromerzeugungskosten von knapp 30 Mrd. DM erfordern.
Dies würde wiederum eine Ökosteuerbelastung auf den
gesamten Stromverbrauch von rd. 6 Pf/kWh bedeuten, wobei
allerdings nichts an die Rentenkassen oder in sonstige
Finanzierungslöcher abgezweigt werden dürfte. Daher
kann dieser Weg keine nachhaltige Energiewirtschaft
begründen.
Es bleibt also die Aufgabe, durch
Forschung, Entwicklung und Aufklärung die Basis der
Energieerzeugung über alle Optionen hinweg offen zu
halten und gemäß den wirtschaftlichen Möglichkeiten
den Kraftwerksmix dynamisch zu optimieren. Die erst
kürzlich für einzelne Kernkraftwerke in den USA
erfolgte Ausdehnung der Betriebserlaubnis von 40 auf 60
Jahre setzt da neue Maßstäbe.
PS: Daten aus 1999 mit 552,5 TWh Bruttostromerzeugung und
488,7 TWh Nettostromverbrauch,
davon 27 % Private Haushalte, 47 % Industrie und 26 %
Handel, Gewerbe und Dienstleistungen.
Quelle: Energie für Deutschland, Fakten Perspektiven und
Positionen im globalen Kontext,
2000, World Energie Council.
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