Zwölf Jahre nach der Wende: Durch eine Mauer nach Berlin?

Von Ralf Grüning


In Braunschweig fuhr ich auf die Autobahn. Links und rechts von mir Lärmschutzwände, Mauern, die dem Auge den Blick in die Landschaft versperren. Mal höher, mal niedriger, mal fünfzig, mal fünfhundert Meter lang, ohne oder mit Fenster, einfarbig oder vielfarbig, mit Stahl- oder Zementpfeilern – die Einfälle der Mauerbauer nehmen kein Ende. Es scheint, als ob sie nach dem Schleifen des „antifaschistischen Schutzwalls“ im Wett-„Streit“ darüber liegen, wer die „schönste“ Mauer bauen kann. Abrupt, treppenförmig oder schwungvoll ansteigend, begleiten die verwinkelten oder schnurgeraden Bauwerke aus glatten oder gerippten Betonplatten, teilweise mit lindgrün, rot und lila gestrichenen Profileisen geschönt, den Autofahrer in die neue Bundeshauptstadt.

Zwischen Magdeburg und Burg gliederten die Autobahn-Architekten sogar einen alten Baum in ihr gigantisches Machwerk ein: Sie unterbrachen ihre in gleicher Weise variationsreiche wie monotone Mauer wenige Meter vor dem Baum und schlossen die Öffnung flugs wieder hinter dem Baum. Ein neues, ein anderes Maueropfer – zurzeit noch ohne Gedenktafel.

Und wer glaubt, die allerorten zu beobachtende hermetische Abriegelung geschähe wegen der unter dem Verkehrslärm leidenden Anwohner, hat sich auf den zweihundert Kilometern nach Berlin nicht nur ein Mal geirrt: Sein Blick durch die Fenster in der Mauer fällt auf Wiesen, Äcker, Wälder und ... kein Haus.

Irgendwo – leider nirgendwo – sah ich Windkraftanlagen. Gigantische weiße Quirle mit roten Streifen an ihren Spitzen. Die Mauer vielleicht zum Schutz der Autofahrer? Zur Ablenkung vor der Ablenkung? So gesehen, dienen die Sichtverhinderungsmauern, die dem Autofahrer Tunnel-Enge unter freiem Himmel vermitteln, dennoch der Verkehrssicherheit.

Um es unmissverständlich zu sagen: Lärmschutz ist wichtig. Aber muss die Beseitigung eines Übels ein anderes Übel nach sich ziehen? Der bekannte Schriftsteller und Naturschützer Jürgen Dahl hat letzthin in seinen „Scheidewegen“ geschrieben: „Immerzu wird die jeweils nächste Sackgasse als Königsweg in die Zukunft angepriesen...“ Ach, wie Recht hat er!