Potentielle Vogelschutzgebiete

Nach den Vorgaben des Art. 7 der Vogelschutzrichtlinie gelten die Regelungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie über die Zulässigkeit von Plänen und Projekten nur für die Vogelschutzgebiete, die nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutzrichtlinie von den Ländern ordnungsgemäß unter Schutz gestellt wurden. Diese Regelung hat der nationale Gesetzgeber in § 19a Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG übernommen. Anders als FFH-Gebiete erlangen die Vogelschutzgebiete den Status damit nicht erst mit der Aufnahme in die Liste der EU-Kommission. Für die Europäischen Vogelschutzgebiete hat der EuGH im sog. Santona-Urteil vom 2. August 1993 ausgeführt, dass für ein Gebiet, das wegen seiner herausragenden Bedeutung für den europäischen Vogelschutz in jedem Fall, also ohne jedes Auswahlermessen, hätte unter Schutz gestellt werden müssen, unmittelbar die strengen Schutzbestimmungen des Art. 4 Abs. 4 Vogelschutzrichtlinie gelten. Im Ergebnis würde dieses Verständnis der Vogelschutzrichtlinie dazu führen, dass in diesen faktischen Vogelschutzgebieten Pläne und Projekte nur zulässig wären, soweit sie unmittelbar der Gesundheit oder Sicherheit des Menschen dienen. Zu erwähnen ist beispielhaft der Deichbau. Wirtschaftliche und soziale Gründe könnten dagegen, anders als bei ausgewiesenen Vogelschutzgebieten, in keinem Fall eine erhebliche Beeinträchtigung rechtfertigen.

Dieser Auslegung des Europäischen Rechts wird im Schrifttum aber verstärkt mit dem Argument entgegengetreten, dass ein nach nationalem Recht nicht geschütztes Vogelschutzgebiet europarechtlich keinen stärkeren Schutz genießen könne als Gebiete, die Mitgliedsstaaten ordnungsgemäß festgesetzt hätten. Auch der nationale Gesetzgeber hat sich in Kenntnis des Diskussionsstandes dafür entschieden, faktische Vogelschutzgebiete dem Schutzregime der ausgewiesenen Schutzgebiete zu unterwerfen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen, zumal der Vogelschutz in diesen Gebieten dadurch gewährleistet ist, dass Beeinträchtigungen der Gebiete nur unter den von mir eingangs geschilderten sehr strengen Voraussetzungen des § 19c Abs. 2 bis 5 BNatSchG zulässig sind. (Auszug aus dem Referat von Geschäftsführer Dr. Wolfgang Schrödter, Niedersächsischer Städtetag auf einer wissenschaftlichen Fachtagung der Universität Kaiserslautern am 27. und 28. September 1999 in Kaiserslautern)


Gibt es "potentielle Schutzgebiete" i. S. d. FFH-Richtlinie?

Anmerkung zum Urteil des BverwG vom 19. 5. 1998 – 4 A 9/97: Das BVerwG hat in zwei Entscheidungen zur Planfeststellung eines Teilabschnitts der A 20 südlich von Lübeck die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß es mangels Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) entsprechend dem Santoña-Urteil des EuGH zur Vogelschutz-RL auch potentielle FFH-Schutzgebiete gibt. Letztlich wurde die Frage offen gelassen. Nachfolgend soll untersucht werden, ob die EuGH-Rechtsprechung zur Vogelschutz-RL auf FFH-Gebiete übertragen werden kann, ob es also "potentielle FFH-Schutzgebiete" gibt. - Von wiss. Mitarbeiter Stephan Stüber, Kiel.