Wichtige Gerichtsentscheidungen
Holger Uhlich
Im folgenden werden einige wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und deutscher Gerichte (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG; Oberverwaltungsgerichte - OVG) erläutert, die nach Meinung des Verfassers für die Entwicklung der Rechtsprechung zur FFH-Richtlinie, ihrer unmittelbaren Geltung und zu den potentiellen (faktischen) FFH- und Vogelschutzgebieten (vgl. hierzu auch Maaß, C. A., Die Identifizierung faktischer Vogelschutzgebiete, Natur und Recht 2000, S. 121 - 130) wesentlich waren. Die Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Hinsichtlich der Entscheidungen deutscher Gerichte hielt der Verfasser eine ausführlichere Darstellung für angebracht, um dem Leser die Komplexität des Falles nahezubringen und die Argumentation des Gerichtes für die tägliche Auseinandersetzung transparenter und nachvollziehbar zu machen. Verschiedentlich finden sich hier auch Entscheidungen und Ausführungen des EuGH wieder.
a) Europäischer Gerichtshof
Urteil vom 25.11.1999 (Poitou) - Rs C-96/98 - (Natur und Recht 2000, 206)Feststellung des EuGH, dass die Französische Regierung gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 4 der Vogelschutz-Richtlinie verstoßen hat, weil sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist und nicht im vorgeschriebenen Umfang das Sumpfgebiet des Poitou (Marais poitevin) zum besonderen Schutzgebiet erklärt hatte. Von den 55.450 ha Naturwiesen waren von 1973 bis 1990 ca. 28.700 ha unter den Pflug genommen worden. Weitere Gebiete sind durch den Bau einer Autobahn zerschnitten und entwertet worden.
Urteil vom 19.05.1998 (Niederlande) - Rs C-3/96 - (Natur und Recht 1998, 538 = Zeitschrift für Umweltrecht 1998, 141) Anmerkung: Die BRD war Streithelferin des beklagten Königreiches
Feststellung des EuGH, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtung aus Artikel 4 der Vogelschutz-Richtlinie verstoßen hat, dass es Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt hat, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gebiete liegen, die geeignet sind, zu besonderen Schutzgebieten im Sinne der Vorschrift erklärt zu werden. Nach Ansicht des Gerichtshofes ist die "Studie über ornithologisch wichtige Gebiete von 1989" (kurz IBA 1989) das einzige Dokument, das wissenschaftliche Beweismittel für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit enthält (Leitsatz 3). Hieran hätten sich die Niederlande orientieren müssen.
Gegenüber den dort aufgeführten 70 niederländischen Gebieten mit einer Gesamtfläche von 797.920 ha stellte das Königreich nur 23 Gebiete mit zusammen 327.602 ha unter besonderen Schutz, obwohl schon das eigene Verzeichnis des niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft und Fischerei 53 Gebiete mit zusammen 398.180 ha enthielt. Nach Ansicht des EuGH sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, alle Gegenden zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten für die Erhaltung der betreffenden Arten erscheinen. Zwischenzeitlich haben sich die Niederlande im Dezember 1998 entschlossen, 60 Gebiete zu melden.
Ähnlich gelagert ist das Urteil des EuGH vom 18.03.1999 (Le Hode) - Rs C-166/97 - (Natur und Recht 1999, 501 = Zeitschrift für Umweltrecht 1999, 150), wo von 21.900 ha ornithologisch relevanter Schutzflächen an der Seine-Mündung lediglich 2.750 ha unter besonderen Schutz gestellt wurden, während die IBA 89 ca. 7.800 ha als "Important Bird Area" aufführte.
Urteil vom 11.12.1997 - Rs C-38/97 - (Natur und Recht 1998, 194)
Feststellung des EuGH, dass die BRD gegen Artikel 23 der FFH-Richtlinie verstoßen hat, weil sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie nachzukommen. Die Richtlinie wurde der BRD am 05.06.1992 bekannt gegeben, so dass die Umsetzungsfrist am 05.06.1994 ablief.
Urteil vom 11.07.1996 (Lappel-Bank) - Rs C-44/95 - (EuGH Slg. I 1996, 3805 = Natur und Recht 1997, 36 = Zeitschrift für Umweltrecht 1996, 254)
Dem Mitgliedsstaat der EU ist es versagt, bereits während der Phase der Gebietsauswahl nach Artikel 4 II FFH-Richtlinie seinen Interessen der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung den Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einzuräumen. Die Nichtausweisung von potentiellen besonderen Schutzgebieten aus wirtschaftlichen Gründen ist unzulässig. Erst nach ihrer Anmeldung sind Verfahren gemäß Artikel 6 FFH-Richtlinie möglich. Das Verfahren muss ausgewogen sein und eine spezielle UVP beinhalten (Alternativenprüfung/ Eingriffsminimierung/ Kompensationspflicht).
Urteil vom 02.08.1993 (Santona) - Rs C-355/90 - (EuGH Slg. I 1994, 4221 = Natur und Recht 1994, 521)
Artikel 4 IV Vogelschutz-Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass ein Mitgliedsstaat der EU nicht befugt ist, die wirtschaftlichen Erfordernisse als Gründe des Gemeinwohls zur Durchbrechung des Schutzregimes zugrunde zu legen. Artikel 4 IV Vogelschutz-Richtlinie hat allein den Schutz der Lebensräume der Vögel zum Ziel, nicht dagegen den Ausgleich zwischen Vogelschutzinteressen und anderen Belangen.
Urteil vom 28.02.1991 (Leybucht-Deiche) - Rs C 57/89 - (EuGH Slg. I 1991, 924 = Natur und Recht 1991, 249)
Den Mitgliedsstaaten steht bei der Auswahl der Vogelschutzgebiete ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser besteht jedoch nicht, wenn es um die Verkleinerung eines bereits ausgewiesenen Schutzgebietes geht, da der Mitgliedsstaat durch die Ausweisung anerkannt hat, dass die Fläche unter fachlichen Kriterien zu den "geeignetsten Gebieten" im Sinne der Vogelschutz-Richtlinie gehöre und er sich dann nicht einseitig dem Beeinträchtigungsverbot entziehen darf. Im Grundsatz sollte bereits nach dem Leybucht-Urteil also bei den anerkanntermaßen geeignetsten Gebieten ein Ermessensspielraum nicht bestehen.
b) Bundes- und Landesgerichte
BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - (Natur und Recht 1998, 544 ff. = NVwZ 1998, 961 ff.)... 2. Eine straßenrechtliche Planung, die sich im nachfolgenden Streckenabschnitt objektiv vor nicht überwindbaren Hindernissen sieht, verfehlt ihren gestaltenden Auftrag. Die damit aufgeworfene Frage der Realisierungsfähigkeit ist nicht aus der subjektiven Sicht der Planfeststellungsbehörde, sondern anhand objektiver Gegebenheiten zu beantworten.
3. Als ein mögliches rechtliches Hindernis der Planverwirklichung sind auch die Vogelschutz-Richtlinie und die FFH-Richtlinie zu beachten.
4. Das Schutzregime des Artikel 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie erfasst auch erhebliche Auswirkungen (Beeinträchtigungen), die Ursachen außerhalb des Gebietes haben.
5. Artikel 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass ein Mitgliedsstaat nicht befugt ist, die wirtschaftlichen Erfordernisse als Gründe des Gemeinwohls zur Durchbrechung des Schutzregimes zugrunde zu legen (EuGH Natur und Recht 1994, 521 - Santona -).
6. Es unterliegt rechtlichen Zweifeln, zu welchem Zeitpunkt Artikel 7 FFH-Richtlinie dahingehend angewandt werden kann, dass für ein Vogelschutzgebiet das geminderte Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie maßgebend ist.
7. Die rechtliche Möglichkeit eines so genannten potentiellen FFH-Gebietes kommt in Betracht, wenn für ein Gebiet die sachlichen Kriterien nach Artikel 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie erfüllt sind, die Aufnahme in ein kohärentes Netz mit anderen Gebieten sich aufdrängt und der Mitgliedsstaat der EU die FFH-Richtlinie noch nicht vollständig umgesetzt hat.
8. Aus dem Gemeinschaftsrecht folgt die Pflicht eines Mitgliedsstaates der EU, vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer EU-Richtlinie die Ziele der Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine gleichsam vollendeten Tatsachen zu schaffen, welche später die Erfüllung der aus der Beachtung der Richtlinie gemäß Artikel 5 Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 189 Abs. 3 EG-Vertrag (alte Fassung) erwachsenen Vertragspflichten nicht mehr möglich machen würde - Pflicht zur "Stillhaltung" (im Anschluss an EuGH EuZW 1) 1998, 167, 170 Nr. 44 = NVwZ 1998, 385 - Inter-Environment Wallonie).
9. Es ist höchst zweifelhaft, ob einem Mitgliedsstaat der EU bei der Auswahl der der EU-Kommission gemäß Artikel 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie zu meldenden Schutzgebiete ein politisches Ermessen zusteht. Artikel 4 FFH-Richtlinie - in Verbindung mit den Anhängen I - III - gibt für die Annahme eines nationalen Auswahlermessens nach Maßstäben politischer Zweckmäßigkeit keinen Anhalt.
10. Dem Mitgliedsstaat der EU ist es versagt, bereits während der Phase der Gebietsauswahl nach Artikel 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie seinen Interessen der wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Entwicklung den Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einzuräumen (im Anschluss an EuGH Slg. I 1996, 3805 = EuZW 1996, 597 = Natur und Recht 1997, 36 - Lappel-Bank).Der klagende anerkannte Naturschutzverband des Bundeslandes Schleswig-Holstein hat die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses für die BAB 20 geltend gemacht. Beklagt ist die Bundesrepublik als zuständige Planfeststellungsbehörde. Der planfestgestellte Abschnitt quert auf ca. 6 km die Trave und folgend die Wakenitz-Niederung. Der Kläger begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (Beschluss des BVerwG vom 21.01.1998 - 4 VR 3.97 - Natur und Recht 1998, 261 = Zeitschrift für Umweltrecht 1998, 28, siehe unten) hinsichtlich der Wakenitz-Niederung erfolgreich die aufschiebende Wirkung der Klage im Hauptsacheverfahren. Hinsichtlich des Trave-Abschnittes und dem ebenfalls betroffenen Schalsee blieb die Klage erfolglos.
Der Planfeststellungsbeschluss hatte ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Wakenitz-Niederung die Qualität eines FFH-Gebietes habe. Der klagende Verband hält demgegenüber das Gebiet für ein "faktisches" Vogelschutzgebiet, jedenfalls für ein potentielles FFH-Gebiet im Sinne von Artikel 4 Abs. 1 Unterabsatz 2 der FFH-Richtlinie.
Nach Ansicht des Gerichts waren im Zuge der Planverwirklichung auch die EG-Richtlinien 79/409/EWG (Vogelschutz-Richtlinie) und 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) als mögliches rechtliches Hindernis zu beachten. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (EuGH Natur und Recht 2994, 521 -Santona - ; EuGH Natur und Recht 1997, 36 - Lappel-Bank -; EuGH Natur und Recht 1991, 249 - Leybucht -) steht fest, dass die Richtlinien gegenüber staatlichen Behörden unmittelbar rechtliche Verpflichtungen begründen. Der EuGH hat mit Urteil vom 11.12.1997 (Natur und Recht 1998, 194 ff.) festgestellt, dass die BRD dadurch gegen Artikel 23 Abs. 1 der FFH-Richtlinie verstoßen habe, dass sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechtsvorschriften erlassen habe, um der Richtlinie nachzukommen.Hiernach war Artikel 7 FFH-Richtlinie unmittelbar anwendbar, wonach ein Schutzregime gemäß Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie für das betreffende Gebiet in Kraft tritt. Artikel 7 FFH-Richtlinie hebt auch die Vogelschutz-Richtlinie nicht auf, sondern ordnet im Falle der Anwendung der FFH-Richtlinie für ein anerkanntes Vogelschutzgebiet nur das von Artikel 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie abweichende Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie an (EuGH Natur und Recht 1997, 36 - Lappel-Bank -).
Artikel 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass ein Mitgliedsstaat nicht befugt ist, die wirtschaftlichen Erfordernisse als Gründe des Gemeinwohls zur Durchbrechung des Schutzregimes zugrunde zu legen (EuGH Natur und Recht 1994, 521 - Santona -). Zulässige Gründe zur Einschränkung des Schutzregimes sind nur solche der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit oder des Naturschutzes oder Umweltschutzes selbst (EuGH Natur und Recht 1991, 249 - Leybucht -). Derartige Zielsetzungen werden mit dem Bau der BAB 20 nicht verfolgt. Dem gemäß hielt das Gericht Kostenfragen als Hinderungsgründe für eine technisch mögliche Untertunnelung der bevorzugten Südtrasse nicht für ausreichend.
Da zum maßgebenden Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses die FFH-Richtlinie entgegen Artikel 23 Abs. 1 FFH-Richtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt war, hätte die Planfeststellungsbehörde bei dieser Sachlage die rechtlichen Möglichkeiten eines potentiellen FFH-Gebietes durch Wahrunterstellung ihrer Entscheidung zugrunde legen können.
Das Gericht neigt dazu, von der rechtlichen Möglichkeit eines potentiellen FFH-Gebietes im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie auszugehen. Zwar kann das Gericht kein kohärentes europäisches ökologisches System für das Gebiet der BRD nach festen Kriterien bestimmen, jedoch ist im Einzelfall die Annahme eines derartigen Schutzgebietes dann nicht ausgeschlossen, wenn für ein Gebiet die sachlichen Kriterien nach Artikel 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie erfüllt sind, die Aufnahme in ein kohärentes ökologisches Netz im Zusammenhang mit anderen bestehenden Schutzgebieten naheliegt oder sich geradezu aufdrängt und der Mitgliedsstaat weder die Richtlinie (fristgemäß) umgesetzt hat noch der EU-Kommission eine Vorschlagsliste gemäß Artikel 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie zugeleitet hat.
Jedenfalls ist anzunehmen, dass ein Mitgliedsstaat bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie verpflichtet ist, die Ziele der Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine gleichsam vollendeten Tatsachen zu schaffen, die ihm später die Erfüllung der ihm erwachsenden Vertragspflichten (Artikel 5 Abs. 2 FFH-Richtlinie in Verbindung mit Artikel 189 Abs. 3 EG-Vertrag) nicht mehr möglich machen. Diese Pflicht folgt aus dem Gebot der Vertragstreue.
In diesem Sinne kann den Mitgliedsstaat eine vorgezogene Verhaltenspflicht treffen, die man als Pflicht zur Vermeidung von Widersprüchen mit den Zielsetzungen der Richtlinie oder als Pflicht zum Stillhalten als gemeinschaftsrechtlicher Vorwirkung verstehen kann (vielleicht auch "Gebot zu gemeinschaftskonformen Verhalten" - der Verf.) . Trotzdem besteht keine absolute Veränderungssperre. Der Mitgliedsstaat darf trotz vertragswidrigem Verhalten nicht mit Folgen belastet werden, die über jene Einschränkungen hinausgehen, welche die Richtlinie im Falle ordnungsgemäßer Umsetzung selbst vorsieht.
Eine derartige gemeinschaftsrechtliche Stillhalte-Pflicht dürfte erst recht bestehen, wenn ein Mitgliedsstaat - wie hier verbindlich (EuGH Urteil vom 11.12.1997) festgestellt - eine Richtlinie in vertragswidriger Weise nicht fristgerecht in nationales Recht umgesetzt hat. Aufgrund dieser Säumnis war es der EU-Kommission unmöglich, ihrerseits auf der Grundlage der Meldelisten des Mitgliedsstaates gemäß Artikel 4 Abs. 3 FFH-Richtlinie 6 Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie (d.h. bis zum 05.06.1998) gemeinschaftliche Schutzgebietslisten zu erstellen.
Das bedeutet: Bereits vor dem 05.06.1998 musste im Verfahren der Planaufstellung ermittelt werden, ob eine straßenrechtliche Fachplanung Flächen berührt, die als (potentielle) FFH-Gebiete in Betracht kamen und ob das in Artikel 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie vorgesehene Schutzregime eingehalten werden könne.
Die Auffassung, den Mitgliedsstaaten stehe bei der Auswahl der an die EU-Kommission zu meldenden Gebiete ein politisches Ermessen zu, erscheint demgegenüber höchst zweifelhaft und erfordert im Falle der Entscheidungserheblichkeit eine Vorlage an den EuGH (Artikel 177 EG-Vertrag). Artikel 4 FFH-Richtlinie gibt für die Annahme eines nationalen Auswahlermessens nach Maßstäben politischer Zweckmäßigkeit keinen Anhalt. Die Mitgliedsstaaten haben vielmehr anhand der im Anhang III der FFH-Richtlinie festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse jene Gebiete aufzuführen, in denen die in den Anhängen I und II der FFH-Richtlinie bezeichneten natürlichen Lebensraumtypen und einheimischen Arten vorkommen. Für die Mitgliedsstaaten mag es bei der Anwendung der in Anhang III genannten Kriterien einen Raum für eine fachliche Beurteilung innerhalb einer gewissen Bandbreite geben. Den Mitgliedsstaaten ist es indes versagt, für die Phase der Auswahl ihrerseits einschränkende Kriterien hinzuzufügen. Das würde geschehen, wenn die Mitgliedsstaaten während der Phase der Gebietsauswahl ihren Interessen der wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Entwicklung den Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einräumen würden (EuGH Natur und Recht 1997, 36 - Lappel-Bank -).
Mitgliedsstaaten, deren Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen oder prioritären Arten flächenmäßig mehr als 5 % des gesamten Hoheitsgebietes ausmachen, können bei der EU-Kommission beantragen, in ihrem Falle die Kriterien des Anhanges III der FFH-Richtlinie flexibler zu handhaben. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass eine politische Entscheidung eines Mitgliedsstaates, für ein Gebiet, welches die Kriterien des Anhanges III der FFH-Richtlinie erfüllt, von einer Meldung an die EU-Kommission abzusehen, vertragswidrig ist.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sprechen erhebliche Umstände dafür, dass die Wakenitz-Niederung im Hinblick auf die in den Anhängen I bis III der FFH-Richtlinie genannten Kriterien als ein nach Artikel 4 Abs. 1 Unterabsatz 1 FFH-Richtlinie auszuweisendes Gebiet ernsthaft in Betracht kommt. In diesem Fall wäre das Gebiet der EU-Kommission als ein besonderes Schutzgebiet im Rahmen des kohärenten europäischen ökologischen Netzes "NATURA 2000" zu melden gewesen.
BVerwG, Beschluss vom 21.01.1998 - 4 VR 3.97 - Natur und Recht 1998, 261 = Zeitschrift für Umweltrecht 1998, 28 mit Anm. A. Fisahn
... 2. Für die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung eines Abschnittes ist es erheblich, ob eine Planfeststellung des nachfolgenden trassierten Abschnittes auf unüberwindbare Hindernisse stößt (hier: Vorschriften der Vogelschutz-Richtlinie und der FFH-Richtlinie).
3. Die Vogelschutz-Richtlinie begründet gegenüber staatlichen Behörden - auch ohne Umsetzung in nationales Recht - unmittelbar rechtliche Verpflichtungen.
4. Da die Bundesrepublik Deutschland bislang die FFH-Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt hat, unterliegt es rechtlichen Zweifeln, ob für Europäische Vogelschutzgebiete (gemäß Artikel 4 Abs. 1 oder Abs. 2 Vogelschutz-Richtlinie) bereits das gegenüber Artikel 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie geminderte Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie Anwendung finden kann (über Artikel 7 FFH-Richtlinie). Soweit das Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und Abs. 4 FFH-Richtlinie für Europäische Vogelschutzgebiete Anwendung findet, ist eine Verträglichkeitsprüfung für ein Vorhaben im Hinblick auf die Einhaltung der Vogelschutz-Richtlinie und die Kohärenz von Natura 2000 rechtlich geboten.
5. Durch den vertragswidrigen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die nationale Umsetzung und das europäische Meldeverfahren der FFH-Richtlinie sprechen wichtige Gesichtspunkte dafür, dass sich die Urteile des EuGH zu "potentiellen" (faktischen) Vogelschutzgebieten auf "potentielle" (faktische) FFH-Gebiete übertragen lassen.Dieses Verfahren betraf den einstweiligen Rechtsschutz im o.g. Verfahren. D. h., der klagende Naturschutzverband wollte in einem Eilverfahren die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Umsetzung des (nach Ansicht des Klägers rechtswidrigen) Planfeststellungsbeschlusses für die BAB 20, Abschnitt Wakenitz-Niederung, wiederherstellen lassen und so die Baufortführung bis zur Klärung im o.g. Hauptsacheverfahren verhindern. Der Antrag des Klägers hatte Erfolg.
Das Gericht geht zunächst ausführlich auf die Klagebefugnis des Verbandes im Rahmen von § 51 LNatSchG ein, was jedoch im Hinblick auf die Thematik der Arbeit nur am Rande interessiert und daher nicht näher ausgeführt wird.
Der klagende Verband wendet sich gegen die Wahl der Südtrasse auch aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen. Nach Ansicht des Klägers stehen der Trasse gemeinschaftsrechtliche Vorgaben entgegen. Die Planfeststellungsbehörde habe in diesem Rahmen bei der planerischen Abwägung falsch gewichtet und die Vogelschutz- und FFH-Richtlinien nicht beachtet. Das Gericht hat für den planfestgestellten Abschnitt die Verletzung europarechtlicher Bestimmung nicht erkannt. Jedoch für die weitere Trassierung kommen Verletzungen gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen ernsthaft in Betracht.
Nach Ansicht des Gerichts ist es für die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung eines Abschnitts erheblich, ob eine Planfeststellung des nachfolgenden trassierten Abschnitts auf unüberwindbare Hindernisse stößt (hier: Vorschriften der Vogelschutz-Richtlinie und der FFH-Richtlinie). Bereits im planfestgestellten Abschnitt ist abwägungsrelevant und ggf. als eine Frage zwingenden Rechts entscheidungserheblich, ob eine Planfeststellung des nachfolgend trassierten Abschnitts mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre. Die Bildung von Teilabschnitten einer Bundesfernstraße ist gerechtfertigt, wenn sie auf der Grundlage einer konzeptionellen Gesamtplanung vorgenommen wird. Zwischen den einzelnen Teilabschnitten muss ein planerischer, insbesondere konzeptioneller Zusammenhang bestehen (BVerwG aaO. m. w. N.; Stichwort "Gefahr eines Planungstorsos"). Gerade die Kenntnis von Hindernissen im nachfolgenden Abschnitt muss der Planfeststellungsbehörde Veranlassung geben, die ursprüngliche Planung zu überdenken.
Die Trassenführung hat möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf den Naturpark "Schaalsee" und durch die beabsichtigte Querung der Wakenitz-Niederung. Eine abschließende Entscheidung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich. Sie muss dem Hauptsacheverfahren (s. o.) vorbehalten bleiben.
Aufgrund des Gebots des § 16 Abs. 2 BFernStrG hat das Bundesministerium für Verkehr als zuständige Planfeststellungsbehörde die Frage der Erheblichkeit der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie beurteilt und - nach Ansicht des Gerichts nicht bedenkenfrei - verneint. Nach Ansicht der Behörde sei die Vogelschutz-Richtlinie in der FFH-Richtlinie "integriert" und enthalte zum anderen keine direkten Verpflichtungen für die Mitgliedsstaaten.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Urt. des EuGH "Santona", "Lappel-Bank" und "Leybucht" s. o.) begründet die Vogelschutz-Richtlinie auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbar rechtliche Verpflichtungen gegenüber den staatlichen Behörden der Mitgliedsstaaten. Diese Rechtsansicht stimmt im übrigen der mit der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Verbindlichkeit der - ebenfalls verspätet umgesetzten - Richtlinie zur UVP überein (BVerwG aaO. m. w. N.).
Weiterhin ist die Vogelschutz-Richtlinie nicht in die FFH-Richtlinie "integriert". Artikel 7 FFH-Richtlinie hebt die Vogelschutz-Richtlinie nicht auf, sondern ordnet für ein nach Artikel 4 Abs. 1 oder 2 Vogelschutz-Richtlinie erklärtes oder anerkanntes Vogelschutzgebiet nur das von Artikel 4 Abs. 4 dieser Richtlinie abweichende Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie an. Danach ist unverändert zuvor bzw. zunächst der Schutzstatus des Gebietes nach Artikel 4 Abs. 1 oder 2 Vogelschutz-Richtlinie festzustellen (EuGH "Lappel-Bank").
Nach Ansicht des Gerichts unterliegt es rechtlichen Zweifeln, ob Artikel 7 FFH-Richtlinie überhaupt derzeit (d.h. vor Umsetzung in nationales Recht - der Verf.) angewandt werden kann und damit das geminderte Schutzregime des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie auszulösen in der Lage ist. Die BRD hatte bislang die FFH-Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt und dadurch gegen Artikel 23 FFH-Richtlinie verstoßen (vgl. EuGH Urteil vom 11.12.1997, Natur und Recht 1998, 194 f., s. o.).
Eine diesbezüglich unrichtige Rechtsauffassung der Planfeststellungsbehörde würde ein Ermittlungsdefizit indizieren und dieses wiederum zur Rechtswidrigkeit der planerischen Abwägungsentscheidung führen, wenn sich der Mangel im Sinne einer konkreten Möglichkeit auf die planerische Entscheidung auswirken kann. Das ist dann nicht der Fall, wenn auch eine spätere (ggf. gerichtliche) Ermittlung unter Berücksichtigung der richtigen Rechtsauffassung zu keinem anderen Ergebnis kommt, mithin die Behörde bei der planerischen Abwägung von einem zutreffenden Sachverhalt ausging.
Hinsichtlich des "Schaalsees" hält es das Gericht für möglich, dass ein Ermittlungsdefizit eingetreten ist (wird aaO. ausgeführt). Diesem Gebiet ordnete die Behörde rechtsfehlerhaft den Schutzstatus eines FFH-Gebietes zu, während sie richtigerweise den Schutzstatus eines Vogelschutzgebietes hätte zugrunde legen müssen. In diesem Zusammenhang hat die Behörde eine gebotene Verträglichkeitsprüfung gem. § 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie nicht veranlasst.
Hinsichtlich der Wakenitz-Niederung sieht der Planfeststellungsbeschluss zwar die Qualität des Gebietes als potentielles FFH-Gebiet, verneint dies jedoch in tatsächlicher Hinsicht. Nach dem Erkenntnisstand des Gerichts sprechen beachtliche Gründe dafür, dass die Annahme der Behörde in tatsächlicher Hinsicht nicht zutrifft. Die Behörde stützt sich dabei auf Äußerungen der EU-Kommission, die für dieses Gebiet tatsächlich nicht vorliegen, sondern nur für den mecklenburgischen Teil der BAB 20 (Peene-Tal und Trebel/Recknitz-Tal). Somit waren eigene naturschutzfachliche Ermittlungen der Behörde nicht entbehrlich, die sie jedoch nicht anstellte. Erst im November 1996 beauftragte das beklagte Land die Herren Prof. Dr. G. Kaue und Dr. R. Wahl mit der Erarbeitung eines Gutachtens zur Wakenitz-Niederung. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um ein "potentielles" FFH-Gebiet handelt. Die Behörde hält diesen Status für rechtlich nicht entscheidungserheblich.
Nach Ansicht des Gerichts ist in rechtlicher Hinsicht zweifelhaft, ob eine Qualifizierung eines Gebietes als "potentielles FFH-Gebiet" auch in rechtlich entscheidungserheblicher Weise möglich ist. Aus dem Verfahren der FFH-Richtlinie zur Unterschutzstellung ergibt sich, dass gegen den erklärten Willen eines Mitgliedsstaates ein Gebiet nicht in das kohärente ökologische Netz aufgenommen werden kann. Aus dieser Systematik ist im Schrifttum gefolgert worden, dass es auf der Grundlage der FFH-Richtlinie im Rechtssinne keine "potentiellen" FFH-Gebiete geben kann.
Hiergegen führt das Gericht Gründe an, die im wesentlichen in der oben erörterten Entscheidung (BVerwG Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - Natur und Recht 1998, 544 ff.) wiedergegeben sind. Das Verhalten der Nichtumsetzung der FFH-Richtlinie und die fehlende Zuleitung einer FFH-Gebietsliste soll nicht sanktionslos bleiben. Dies würde dazu führen, dass geeignete Objekte für ein kohärentes ökologisches Netz einstweilen ohne den spezifischen Schutz des Artikel 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie sind. Da es im allgemeinen außerordentlich schwierig (und teuer - der Verf.) ist, bereits belastete oder zerstörte Gebiete in einen günstigen Zustand der natürlichen Lebensräume zurückzuführen, wird insgesamt die Zielsetzung der Richtlinie gefährdet oder sogar teilweise unerfüllbar.
Diese gewichtigen Folgen legen in Anknüpfung an die angeführte Rechtsprechung des EuGH die Frage nahe, ob auch für die FFH-Richtlinie von der Möglichkeit einer unmittelbaren Umsetzung der Richtlinie für potentielle Gebiete auszugehen ist, wenn der Mitgliedsstaat eine Liste nach Artikel 4 Abs. 1 Unterabsatz 2 FFH- Richtlinie der EU-Kommission nicht zugeleitet hat, wenn für ein Gebiet die sachlichen Kriterien nach Artikel 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie erfüllt sind und wenn die Aufnahme in ein kohärentes ökologisches Netz in Zusammenhang mit anderen, bereits unter förmlichen Schutz gestellten Gebieten bestimmend sein kann. Geht man von der zuletzt erörterten Auslegung aus, liegt es unter den vorgenannten Kriterien nahe, die Möglichkeit eines "potentiellen" FFH-Gebietes zu bejahen und das Verfahren nach Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie für geboten anzusehen. Diese Auslegungsfrage kann indes im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weder verfahrensrechtlich noch inhaltlich abschließend beantwortet werden.
Ist danach die Rechtslage gerade hinsichtlich gemeinschaftsrechtlicher Rechtsvorschriften offen, ergibt die gebotene Abwägung der wechselseitigen Interessen, dass
- bei nicht vorgenommener Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Planfeststellungsbeschluss durchgeführt und die planfestgestellte Trasse gebaut wird. Damit werden auch für nachfolgende Abschnitte Zwangspunkte und vollendete Tatsachen geschaffen. Die ursprüngliche Konzeptplanung wäre nicht mehr möglich und die Auswahl zwischen Nord- und Südtrasse stünde jedenfalls nicht mehr für eine erneute planerische Entscheidung offen. Nicht zuletzt besteht die ernsthafte Gefahr, dass öffentliche Gelder für einen Planungstorso vertan wären, ohne dass der berechtigte Nutzen alsbald eintreten würde. Nach alledem ist die Irreversibilität schwerlich zu leugnen.
- bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der planfestgestellte Abschnitt einstweilen nicht gebaut werden kann. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellt indes den Bau der BAB 20 nicht als solchen in Frage.
Bei der Gesamtwürdigung der Vor- und Nachteile fällt die Bewertung zugunsten einer vorläufigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus. Der Bau der BAB entsprechend dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss führt zu vollendeten Tatsachen, die kaum umkehrbar sind. Das liegt nicht im Gemeinwohlinteresse. Die Anlass zu dieser Entscheidung gebenden Unsicherheiten tatsächlicher und rechtlicher Art hat nicht der Kläger zu vertreten. Vielmehr ist es die öffentliche Hand - sei es der Bund oder die betroffenen Bundesländer - die zu dieser Unsicherheit dadurch beigetragen haben, dass die FFH-Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt und die Meldeliste der EU-Kommission noch nicht zugeleitet ist. Die Klärung der Rechtslage liegt im Gemeinwohlinteresse. Es entspricht der Rechtsprechung des EuGH, dass - namentlich im Bereich des Umweltschutzes - die Missachtung der Umsetzungsgebote auch außerhalb eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht sanktionslos zu bleiben hat.
Es steht zu erwarten, dass der Kläger gegen den nachfolgenden Planungsabschnitt, der die Querung der Wakenitz-Niederung einschließt, wiederum Klage erheben würde. In dem so zu erwartenden Klageverfahren würde sich erneut die Frage stellen, ob die Plandurchführung suspendiert werden müsste. Spätestens hier sollte aus diesem Grunde die Vollziehung ausgesetzt werden. Eine Plandurchführung würde nämlich zur Vernichtung des "Beweismittel" einerseits und zu vollendeten Tatsachen im Sinne fehlender Restitutionsmöglichkeit andererseits führen. Die Schaffung von Klarheit in rechtlicher Hinsicht liegt daher im wohlverstandenen öffentlichen Interesse gerade auch des Beklagten ...
OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.12.1997 - 7 11 1155/97 - (Zeitschrift für Umweltrecht 1998, 92 ff.)
... 3. Die Anwendung der Artikel 7 FFH-Richtlinie auf Gebiete, die nicht zu Vogelschutzgebieten erklärt sind, kommt nur in Betracht, wenn die Gebiete für den Schutz von vom Aussterben bedrohter Vogelarten von herausragender Bedeutung sind.
Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag anerkannter Naturschutzverbände zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die sofortige Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses betreffend den Bau einer Weser-Unterquerung (Weser-Tunnel). Die Antragsteller halten den Planfeststellungsbeschluss für fehlerhaft, weil kein Bedarf bestehe, eine UVP im Rahmen des Raumordnungsverfahrens nicht stattgefunden habe und weil unter Verstoß gegen die Bestimmungen der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie Lebensräume für Wiesenbrutvögel vernichtet würden. Das OVG hat den Antrag abgelehnt.
Hinsichtlich der - hier allein interessierenden - gerügten Nichtbeachtung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmung entschied das Gericht im 3. Leitsatz:
Die Anwendung des Artikel 7 FFH-Richtlinie auf Gebiete, die nicht zu Vogelschutzgebieten erklärt sind, kommt nur in Betracht, wenn die Gebiete für den Schutz von vom Aussterben bedrohter Vogelarten von herausragender Bedeutung sind.
Die Antragsteller hatten ausgeführt, dass trotz Fehlens einer formellen Schutzgebietsausweisung die spezielle Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 der FFH-Richtlinie hätte durchgeführt werden müssen. Das Gericht hatte sich in diesem Zusammenhang mit der Frage auseinanderzusetzen, ob wegen der abgelaufenen Umsetzungsfrist auch ohne Umsetzung der FFH-Richtlinie bei Plänen und Projekten im Sinne des Artikel 6 Abs. 3 eine Verträglichkeitsprüfung stattzufinden hat und bestimmte Verpflichtungen zu beachten sind.
Eine (noch) nicht ordnungsgemäß umgesetzte europäische Richtlinie kann unmittelbare Wirkung entfalten, wenn und soweit ihre Regelungen inhaltlich bedingt und hinreichend bestimmt sind. Diese Voraussetzungen werden für Artikel 7 FFH-Richtlinie hinsichtlich ausgewiesener Vogelschutzgebiete angenommen (OVG Lüneburg aaO. mit Verweis auf Gellermann Natur und Recht 1996, 548, 556; Schmitz Zeitschrift für Umweltrecht 1996, 12 ff.). Zweifelhaft ist indes, ob Artikel 7 FFH-Richtlinie auch insofern die Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren Wirkung erfüllt, als sie begünstigende Wirkung und damit individualschützenden Charakter hat (vgl. Gellermann aaO.). Dieser Gesichtspunkt braucht jedoch im Hinblick auf die neuere EuGH-Rechtsprechung nicht vertieft zu werden.
Der EuGH (Urteil vom 11.08.1995 - C 431/92 - DVBl. 1996, 424 = NVwZ 1996, 369 = Natur und Recht 1996, 102) hat klargestellt, dass die Frage, ob eine rechtlich nicht umgesetzte Richtlinie eine unmittelbar wirkende Verpflichtung zumindest für die Verwaltung enthält, nichts zu tun hat mit der anerkannten Möglichkeit des einzelnen, sich gegenüber dem Staat unmittelbar auf unbedingte, hinreichend bestimmte und ihn begünstigende Richtlinienbestimmungen zu berufen. Der EuGH bejaht damit generell eine von dem Bestehen individueller subjektiver Rechte unabhängige Bindung der Verwaltung an Richtlinienbestimmungen, sofern diese unmissverständliche Verpflichtungen für die zuständigen Behörden begründen.
Artikel 7 FFH-Richtlinie nimmt ausdrücklich Bezug auf die nach Artikel 4 Abs. 1 der Vogelschutz-Richtlinie zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Artikel 4 Abs. 2 dieser Richtlinie als solche anerkannten Gebiete. Damit ist Artikel 7 FFH-Richtlinie auf die noch nicht zu Schutzgebieten erklärten Lebensräume nicht anwendbar. Die Rechtsfolge des Artikel 7 FFH-Richtlinie, die Notwendigkeit, die Verpflichtungen nach Artikel 6 Abs. 2 bis 4 zu beachten, wird nicht bereits durch die anhand ornithologischer Kriterien vorzunehmende Feststellung der besonderen Schutzwürdigkeit eines bestimmten Areals ausgelöst, sondern allein durch den förmlichen Akt der Unterschutzstellung. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Gleichwohl ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 4 der Vogelschutz-Richtlinie (EuGH "Santona" und "Lappel-Bank", s. o.) in Erwägung gezogen worden, die Regelungen des Artikel 7 FFH-Richtlinie auch auf solche Gebiete auszudehnen, die noch nicht zu Vogelschutzgebieten erklärt sind, bei denen aber entsprechende Voraussetzungen vorliegen. Das Gericht geht jedoch hierauf an dieser Stelle nicht weiter ein, weil nach Ansicht des Gerichts die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Es handele sich nicht um ein Gebiet mit herausgehobener Bedeutung für den Vogelschutz. Der EuGH zieht nicht in Zweifel, dass die Mitgliedsstaaten bei der Auswahl und Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete sowie des Zeitpunkts ihrer Ausweisung über einen Ermessensspielraum verfügen, der sich dann auf Null reduziert, wenn die herausgehobene ornithologische Bedeutung des zu beurteilenden Gebietes feststeht.
Nach Ansicht des Gerichts lässt sich im vorliegenden Fall eine herausgehobene Bedeutung des streitgegenständlichen Gebietes nicht feststellen. Zum einen nicht, weil die Artenausstattung (erwähnenswert: Blaukehlchen und Rohrweihe als Brutvögel sowie weitere nicht näher genannte Zugvogelarten in unbekannter Schwarmstärke) die herausgehobene Bedeutung nicht zu begründen vermag und zum anderen, weil die Antragsteller selbst vortragen, dass die Bestandserfassung noch nicht weit genug fortgeschritten sei. Damit mangelt es nach Ansicht des Gerichts gegenwärtig an einer hinreichenden Grundlage für eine abschließende Bewertung. Jedenfalls fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass den zuständigen Behörden keine andere Wahl bliebe, als den fraglichen Bereich im Hinblick auf eine herausgehobene Bedeutung als besonderes Schutzgebiet nach Artikel 4 Abs. 1 oder 2 Vogelschutz-Richtlinie auszuweisen.
OVG Münster, Beschluss vom 11.05.1999 - 20 B 1464/98.AK - Natur und Recht 2000, 165 ff.
1. Ob ein Gebiet eine herausgehobene Bedeutung für den Vogelschutz hat, die es als faktisches Vogelschutzgebiet im Sinne der Vogelschutz-Richtlinie qualifiziert, beurteilt sich nach den konkreten Umständen wie Gebietseigenart und -grösse, Anzahl der dort anzutreffenden durch Artikel 4 Vogelschutz-Richtlinie geschützten Arten, Größe der Bestände usw. Ein gewichtiges Indiz für die Zuordnung stellt die Aufnahme des Gebietes in die Vorschlagsliste IBA 89 dar.
2. Nach vorläufiger Prüfung findet das Schutzregime der FFH-Richtlinie schon unabhängig von der normativen Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht auf faktische Vogelschutzgebiete Anwendung.
3. Nur Projekte, die ein Schutzgebiet gewichtig und nachhaltig beeinträchtigen, sind nach § 19 c Abs. 2 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie mit den Erhaltungszielen des Gebietes unverträglich.
4. § 19 c Abs. 4 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie, der bei Vorhandensein prioritärer Biotope oder Arten in einem Schutzgebiet Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz nur unter verschärften Voraussetzungen zulässt, kommt für Vogelschutzgebiete nicht zum Tragen.
5. Zur Möglichkeit faktischer Vogelschutzgebiete.6. Zur Frage, ob § 19 c Abs. 4 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 2 FFH-Richtlinie auch dann Anwendung findet, wenn in einem Schutzgebiet prioritäre Biotope oder Arten zwar anzutreffen sind, aber durch das zur Überprüfung stehende Projekt nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Die Antragstellerin, eine gemeinnützige Stiftung mit einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb von mehreren hundert Hektar, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes hinsichtlich eines Teilabschnittes der Anbindung des Flughafens Köln/Bonn in der Wahner Heide. Zum Stiftungsvermögen gehört die unter Denkmalschutz stehende Gestütanlage Schloss Röttgen mit weitläufigen Gestütkoppeln. Unter anderem macht die Antragstellerin geltend, nach der Vogelschutz und der FFH-Richtlinie sei die Zulassung des Vorhabens zwingend ausgeschlossen. Der Antrag hatte keinen Erfolg.
Nach Ansicht des Gerichts schließen die Bestimmungen der vorbenannten EU-Richtlinien die Zulassung des Vorhabens nicht aus. Die Wahner Heide ist bislang nicht als Schutzgebiet im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 Unterabsatz 4, Abs. 2 Vogelschutz-Richtlinie förmlich unter Schutz gestellt worden; die Frist zur Umsetzung der Richtlinie (Artikel 18) ist abgelaufen. Den für solche Gebiete zu stellenden besonderen Schutzanforderungen kann die Planung nur unterliegen, wenn und soweit die planungsbetroffenen Flächen Bestandteil eines "faktischen" Vogelschutzgebietes sind, für das mangels rechtzeitiger mitgliedsstaatlicher Umsetzung der Richtlinie eine unmittelbare Geltung der in ihr enthaltenen Maßgaben in Betracht zu ziehen ist. Dies hat das Gericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH (wird ausgeführt) bejaht.
Ausgehend von diesem rechtlichen Ansatz spricht vieles dafür, dass die von der Flughafenanbindung betroffenen Teile der Wahner Heide Bestandteil eines faktischen Vogelschutzgebietes sind. Auch unter Berücksichtigung eines gewissen Beurteilungsspielraumes der Mitgliedsstaaten (EuGH "Leybucht") kann den für die Ausweisung eines Gebietes sprechenden Gründen aber solches Gewicht zukommen, dass die Gebietsausweisung erfolgen muss (EuGH "Santonaa"). Steht die herausgehobene ornithologische Bedeutung eines Gebietes im Hinblick auf die durch Artikel 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutz-Richtlinie geschützten Arten fest. so reduziert sich der Beurteilungsspielraum auf null. Staatliche Stellen trifft dann die Verpflichtung, den besonderen Schutz auch ohne förmliche Gebietsausweisung zu gewährleisten. Soweit die maßgeblichen Schutzanforderungen von den nationalen Behörden zu beachten sind, gehören sie zur objektiven Rechtsordnung und bestimmen mit darüber, was als Wohl der Allgemeinheit im Sinne des Artikel 14 Abs. 3 S. 1 GG zu gelten hat.
Ob ein Gebiet eine herausgehobene Bedeutung für den Vogelschutz hat, die es als faktisches Vogelschutzgebiet qualifiziert, beurteilt sich nach den jeweiligen konkreten Umständen. Entsprechend dem Schutzzweck der Vogelschutz-Richtlinie, geeignete Lebensräume zu erhalten, ist die Bedeutung wertend zu ermitteln anhand von Kriterien wie Eigenart und Größe des Gebietes, Anzahl der dort anzutreffenden durch Artikel 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutz-Richtlinie geschützten Arten, Größe der Bestände, vorhandene Störfaktoren, Vernetzung mit anderen schutzwürdigen Gebieten und Wertigkeit im Vergleich zu anderen Gebieten entsprechender Funktion. Ein gewichtiges Indiz für die Annahme eines faktischen Vogelschutzgebietes im Fall der Wahner Heide ergibt sich schon aus der Aufnahme des Gebietes in die Vorschlagsliste Important Bird Area - IBA 89.
Der benachbarte Flughafen und die Nutzung als Truppenübungsplatz stellen die ornithologische Bedeutung des Heidegebietes nicht durchgreifend in Frage. § 38 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vermittelt der militärischen Nutzung einen Bestandsschutz, ohne dadurch eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet auszuschließen. Ob Belange der Landesverteidigung Gründe sein können, von einer aus ornithologischer Sicht gebotenen Unterschutzstellung als Europäisches Vogelschutzgebiet abzusehen, erscheint zweifelhaft (vgl. BVerwG Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - Natur und Recht 1998, 544, 550; s. o.). Es liegt demnach nahe, ein faktisches Vogelschutzgebiet Wahner Heide zu bejahen.
Die Trasse soll das Gebiet nur randlich anschneiden. Im Einwirkungsbereich der Trasse liegen Biotope, die den Lebensraum von unter besonderen Schutz der Vogelschutz-Richtlinie fallenden Vogelarten bilden. Namentlich werden Heideflächen durchschnitten, die von der Heidelerche als Brutrevier genutzt werden. Angesichts dessen ist die Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass der betreffende Bereich zu den essentiellen Teilen des Schutzgebietes gerechnet werden muss. Das Gericht unterstellt deshalb, dass auch insoweit die Maßgaben für faktische Vogelschutzgebiete beachtet werden müssen.
Es fragt sich nun, ob für das Gebiet die Schutzanforderungen des Artikel 4 Abs. 4 Satz 1 Vogelschutz-Richtlinie oder die weniger strengen (weil weitere Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz zulassend) des Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie einschlägig sind. Letztere stellen ab auf förmlich unter Schutz gestellte Gebiete. Im Schrifttum ist umstritten, ob das Schutzregime darüber hinaus auch für faktische Schutzgebiete gewechselt hat (es werden Literaturmeinungen zitiert).
Nach einer Auffassung, die Artikel 7 FFH-Richtlinie nur auf förmliche Schutzgebiete anwendet, mithin einen Wechsel des Schutzregimes für faktische Schutzgebiete verneint, hat auch die Novellierung des BNatSchG durch Änderungsgesetz vom 30.04.1998 (s.o.) nicht zu einem Wechsel geführt. Die Novelle habe lediglich die FFH-Richtlinie umgesetzt, nicht jedoch eine ausstehende förmliche Unterschutzstellung ersetzt. Die Gegenmeinung tritt durchweg für einen Wechsel der Schutzanforderungen mit Ablauf der Umsetzungsfrist des Artikel 23 FFH-Richtlinie ein. Das würde bedeuten, dass im vorliegenden Fall das Schutzregime der FFH-Richtlinie griffe, ebenfalls unabhängig von der BNatSchG-Novelle. Das BVerwG hat sich in seinem Beschluss vom 21.01.1998 dahingehend zweifelnd geäußert - allerdings mit nicht ausreichender Begründung -, dass Artikel 7 FFH-Richtlinie auch für Planfeststellungsbeschlüsse gelten soll, die vor der Novellierung des BNatSchG erlassen worden sind.
Nach Auffassung des OVG dürfte für den hier vorliegenden Fall vom Schutzregime der FFH-Richtlinie auszugehen sein. Der Wortlaut des Artikel 7 FFH-Richtlinie geht zwar von förmlich ausgewiesenen Vogelschutzgebieten aus und stellt für den Wechsel des Schutzregimes auf die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ab. Dem kommt aber deshalb kein entscheidendes Gewicht zu, weil diese Bestimmung naturgemäß auf den Regelfall ordnungsgemäßer Umsetzung der einschlägigen Richtlinien zugeschnitten ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH über die unmittelbare Bindungswirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien für staatliche Behörden bestehen zunächst keine Bedenken, Artikel 7 FFH-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist auf ausgewiesene Vogelschutzgebiete anzuwenden. Artikel 7 ist hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt und erfüllt damit die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendbarkeit. Dies entspricht auch der Praxis der EU-Kommission.
Für faktische Vogelschutzgebiete kann dann nach vorläufiger Prüfung nichts anderes gelten. Denn die Bindungswirkung einer nicht umgesetzten Richtlinie dient nur dazu, den mit der Richtlinie verfolgten Regelungszweck zur Geltung zu bringen, und darf deshalb nicht zu weitergehenden Verpflichtungen der staatlichen Verwaltung führen als im Falle rechtzeitiger Umsetzung. Selbst bei Zugrundelegung der Bedenken des BVerwG kommt man zu keinem anderen Ergebnis, weil für die Beurteilung eines angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses die Sach- und Rechtslage bei Erlass (30.04.1998, maßgeblich jedoch Bekanntgabe durch Zustellung am 12.05.1998) maßgeblich ist (BVerwG NVwZ 1998, 967), mithin die BNatSchG-Novelle vom 30.04.1998 ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Infolgedessen ist der Planfeststellungsbeschluss an § 19 c BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie zu messen, wobei sich die Anwendbarkeit des § 19 c BNatSchG auf faktische Vogelschutzgebiete aus dessen EG-rechstkonformer Auslegung ergibt (vgl. Apfelbacher/ Adenauer/ Iven Natur und Recht 1999, 63, 72).
Hiervon ausgehend war für das Vorhaben eine Verträglichkeitsprüfung mit den für das Schutzgebiet maßgeblichen Erhaltungszielen durchzuführen. Dabei gelangte die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, das Gebiet werde hinsichtlich seiner Erhaltungsziele nicht erheblich beeinträchtigt. Diese Beurteilung wird der Überprüfung im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach standhalten.
Vorbehaltlich besonderer Ausnahmen gemäß § 19 c Abs. 3 BNatSchG hat die zuständige Behörde einem Projekt die Zulassung zu versagen, wenn die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Schutzgebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Hierbei reicht nicht jede, sondern - wie der Zusammenhang mit Artikel 6 Abs. 3 S. 1 FFH-Richtlinie verdeutlicht - nur eine erhebliche Beeinträchtigung als Versagungsgrund (BVerwG Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - Natur und Recht 1998, 544, 548; s. o.). Lediglich Auswirkungen, die das Gebiet gewichtig und nachhaltig beeinträchtigen, führen zur Unverträglichkeit.
Wegen der Ausbauweise als Tunnel wird seitens des Gerichts eine nur vorübergehende Beeinträchtigung während der eigentlichen Bauphase unterstellt und nicht für nachhaltig erachtet. Abwanderungen von Arten durch betriebsbedingte Erschütterungen seien nicht belegt. Erkenntnisse der "Ornithologischen Kartiergemeinschaft", wonach voraussichtlich 2 Brutpaare der Heidelerche, 1 Brutpaar des Neuntöters sowie 6 Paare von Zugvogelarten (1 Paar Schwarzkehlchen, 3 Paare Dorngrasmücke, 2 Paare Baumpieper) verschwinden werden, werden vom Gericht mit dem Hinweis auf die ohnehin jährlich schwankenden Bestandszahlen nicht anerkannt. Entscheidend sei vielmehr darauf abzustellen, ob der Lebensraum der geschützten Arten deutlich und nachhaltig eingeschränkt oder negativ verändert werde. Somit fehle es nach Ansicht des Gericht, an einer erheblichen Beeinträchtigung, die den gemeinschaftsrechtlich gebotenen Gebietsschutz gefährden würde.
Es spricht überdies einiges dafür, dass das Vorhaben unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung, wonach das Schutzregime gewechselt hat, sogar dann vogelschutzrechtlich unbedenklich wäre, wenn die Beeinträchtigung als erheblich eingestuft würde. Das Vorhaben wäre dann an § 19 c Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 Satz 1 FFH-Richtlinie zu messen. § 19 c Abs. 4 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 2 FFH-Richtlinie kommt demgegenüber nicht zum Tragen, da prioritäre Vogelarten mangels entsprechender Kennzeichnung in der FFH- oder Vogelschutz-Richtlinie nicht existieren (vgl. auch § 19 a Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG). Literaturmeinungen, die alle Vogelarten aus Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie als prioritäre Arten behandelt wissen möchten, erhalten weder im Gesetz noch in den Richtlinien eine Stütze. Die Konsequenz, dass mit dem Wechsel zum Schutzregime der FFH-Richtlinie der Schutzstandard für Vogelarten allgemein abgesenkt worden ist, haben der Richtlinien-Geber und - ihm folgend - der Gesetzgeber offenbar in Kauf genommen (oder übersehen - der Verf.).
Mit den Regelungen des § 19 c Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 Satz 1 FFH-Richtlinie hat sich die Antragsgegnerin, d. h. die Planungsbehörde nicht befasst. Das Gericht setzt sich nachfolgend mit der Frage auseinander, ob auch bei einem Akt planerischer Gestaltung die sich aus vorgenannten Vorschriften ergebende gebotene Abwägung vorgenommen werden kann. Das Gericht kommt zu der Auffassung, dass der Ausnahmetatbestand aus § 19 c Abs. 3 BNatSchG derart eng gefasst ist, dass der Behörde bei der Anwendung der Regelung kein planerischer Gestaltungsspielraum offen steht, sondern dass sie auf eine nachvollziehbare Gewichtung der sich gegenüberstehenden Belange verwiesen ist.
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass hiervon ausgehend Voraussetzungen vorliegen, unter denen § 19 c Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 Satz 1 FFH-Richtlinie Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz zulässt. Für den Bau der Flughafenanbindung sprechen Gründe von hohem Gewicht, die nach Lage des Falles geeignet sind, sich gegenüber dem Belang des Vogelschutzes durchzusetzen (wird ausgeführt). Alternativen im Sinne des § 19 c Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG sind nicht erkennbar. Als zumutbare Alternativen sind nur solche Lösungen in Betracht zu ziehen, die es ermöglichen, die mit dem Vorhaben verfolgten Planungsziele im großen und ganzen in vergleichbaren Maße zu erreichen. Solche sind nach Ansicht des Gerichtes nicht gegeben (wird ausgeführt). Sicherungs- und Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des § 19 c Abs. 5 S. 1 BNatSchG sind mit den Vorkehrungen, die der Planfeststellungsbeschluss vorsieht (wird ausgeführt), in ausreichendem Maße getroffen worden.
Dem Vorhaben stehen auch keine Bestimmungen zum Schutze von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von § 19 a Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG in Verb. mit Artikel 3 Abs. 1 S. 2 FFH-Richtlinie entgegen. Eine Liste der Gebiete, an deren Vorhandensein die Schutzregelungen anknüpfen, konnte von der EU-Kommission bisher nicht aufgestellt werden. Dies scheiterte im wesentlichen an der verspäteten Umsetzung durch die Antragsgegnerin, die Bundesrepublik Deutschland. Das Schutzregime des § 19 c BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie kann deshalb nur zum Tragen kommen, wenn zum einen die rechtliche Möglichkeit eines potentiellen FFH-Gebietes anerkannt ist und zum anderen das streitbefangene Gebiet einem solchen zuzuordnen ist.
Die Anerkennung potentieller (faktischer) FFH-Gebiete bejaht das Gericht mit einigen Bedenken unter Bezug- und Übernahme der Argumentation des BVerwG Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - Natur und Recht 1998, 544, 550; (s. o.). Die Aussagen in der Verträglichkeitsstudie, dass es sich hierbei um einen "der bedeutsamsten Biotopkomplexe des Landes Nordrhein-Westfalen und eines der wertvollsten Sand- und Moorheidegebiete Mitteleuropas mit internationaler Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz" handele, stützen die Aufnahme des Gebietes (2630 ha) in die FFH-Vorschlagsliste des Landes und somit die Annahme eines potentiellen FFH-Gebietes.
Nach Ansicht des Gerichtes ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebietes für die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der in dem Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen des Anhanges I und Arten des Anhanges II der FFH-Richtlinie in seinen für diese Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen nicht zu besorgen (wird ausgeführt). Der Verlust an Trockenheiden ist nicht nachhaltig, weil dieser Lebensraumtyp in der Wahner Heide insgesamt noch zahlreich vorkommt und unter Beachtung der Vorkehrungen bei der Oberbodenbehandlung sich alsbald erneuert. Der Verlust von Eichentrockenwald ist zwar nachhaltig, jedoch auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt, so dass nicht einmal feststeht, ob alle eingerechneten Teilflächen (0,2 ha) alten Waldbestand im Sinne der Biotopdefinition des EU-Codes 9190 umfassen.
Das Gericht hält selbst bei negativem Ausgang der Verträglichkeitsprüfung das Vorhaben für zulässig, weil der Maßstab des § 19 c Abs. 3 und 5 BNatSchG ist. § 19 c Abs. 4 BNatSchG dahingehend "überschießenden" Charakter habe, da er seinem Wortlaut nach auch dann gelten soll, wenn im Gebiet prioritäre Lebensräume und Arten vorkommen, diese jedoch durch das Projekt nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies ergebe sich so aber nicht aus der Begründung des Gesetzgebers zur Änderungsnovelle, in der es heißt, die Regelung (im Entwurf Abs. 3) sehe "in Fällen nicht ausgleichbarer Beeinträchtigungen für die Zulassung von Ausnahmen durch die genannte Lebensräume und Arten betroffen sind, einschränkende Voraussetzungen vor." (BT-Drs. 13/6441 S. 54).
Ist das Vorhaben demnach auch bezogen auf Beeinträchtigungen eines potentiellen FFH-Gebietes an § 19 c Abs. 3 und 5 BNatSchG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 S. 1 FFH-Richtlinie zu messen, so dürfte es selbst im Falle seiner Unverträglichkeit mit den maßgeblichen Erhaltungszielen des Gebietes zugelassen werden: Berücksichtigt man die zum Schutz der beeinträchtigten Lebensraumtypen vorgesehenen Maßnahmen, die einen weitgehenden Ausgleich sicherstellen, so reicht das Gewicht der für die Flughafenanbindung sprechenden Gründe aus, um sich gegen den Belang des Biotopschutzes durchzusetzen. Schonendere und zugleich zumutbare Alternativlösungen sind nicht erkennbar. Die angeordneten Vorkehrungen vermögen den Zusammenhang des Europäischen ökologischen Netzes "Natura 2000" zu gewährleisten.
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1) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Aufsätze
Das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
Innerstaatliche Umsetzung und Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben auf dem Gebiet des Naturschutzes Teil I: Artenschutz
Von Ministerialrat Dieter Apfelbacher, Regierungsdirektorin Ursula Adenauer und Oberregierungsrat Klaus Iven, Bonn
Am 9. 5. 1998 ist das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) in Kraft getreten. Mit dem Gesetz werden EG-rechtliche Vorschriften auf dem Gebiet des Naturschutzrechts in nationales Recht umgesetzt bzw. zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts erforderliche Regelungen erlassen. Da das Gesetz im Laufe eines Vermittlungsverfahrens konzipiert worden ist, gibt es nicht die üblichen Gesetzesmaterialien, wie insbesondere eine amtliche Begründung. Darum dürfte es von Nutzen sein, Inhalt und Zweck der neuen Regelungen zu erläutern. Im Vordergrund der aktuellen Diskussionen steht die Umsetzung der Vorschriften zum Habitatschutz nach der FFH-Richtlinie. Weniger bekannt ist, daß das Gesetz auch die Durchführung bzw. Umsetzung des neuen EG-Artenschutzrechts zum Ziel hat. Dieser Aspekt soll im folgenden ersten Teil des Beitrags behandelt werden. In einem zweiten Teil werden die Autoren die der Umsetzung des Habitatschutzteils der FFH-Richtlinie dienenden Vorschriften erläutern.
Die Umsetzung der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
Von Rechtsanwalt Dr. jur. Dipl.-Biol. Frank Niederstadt
Im März 1998 ist es Bund und Ländern nach lang anhaltendem Streit gelungen, sich auf eine kleine Novelle zur Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) der Europäischen Union zu einigen. Der vorliegende Aufsatz stellt die neuen Vorschriften des BNatSchG vor, prüft die Umsetzung anhand der Vorgaben und Zielsetzungen der FFH-RL und versucht eine erste Einschätzung von Anwendungsproblemen. Detaillierte Ausführungen zum Artenschutzrecht und die Regelungen zum BauGB sind nicht Gegenstand dieses Beitrages.
Zur Verfassungsgemäßheit der 3. Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes
Von Prof. Dr. Hans Walter Louis, LL. M., Braunschweig
Der Bundestag hat inzwischen die 3. Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz verabschiedet und den Vorschlag des Vermittlungsausschusses, das Gesetz abzulehnen, ignoriert. Das Gesetz vom 26. 8. 1998 ist am 29. 8. 1998 in Kraft getreten (BGBl. I S. 2481). Streitig ist bei der Neuregelung, ob es sich um ein Zustimmungsgesetz oder ein Einspruchsgesetz handelt. Die Frage stellt sich besonders bei den §§ 3a und 3b des Gesetzes. Fraglich ist aber auch, ob diese Normen im Rahmen des Art. 75 GG erlassen werden können.
Zur Praxis der Mitgliedstaaten bei der Ausweisung von Vogelschutzgebieten
Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 19. 5. 1998 Rs C 3/96 (S. 538 in diesem Heft)
Von Oberregierungsrat Klaus Iven, Bonn
Mit dem Urteil vom 19. 5. 1998 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine vierte Entscheidung zum Habitatschutzteil der Vogelschutzrichtlinie (VRL) getroffen. Bald zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der VRL im April 1979 geht es dabei erstmals nicht um ein konkretes Gebiet und dessen Verhältnis zur RL, sondern übergreifend um die Frage, ob ein Mitgliedstaat genug Gebiete als Vogelschutzgebiete ausgewiesen hat, um seinen Richtlinienverpflichtungen zu entsprechen. Dies und der Umstand, daß die Frage nach dem notwendigen Maß ausgewiesener Vogelschutzgebiete Gegenstand weiterer Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Mitgliedstaaten u. a. auch gegen die Bundesrepublik Deutschland ist, belegen die neue Qualität und erhebliche praktische Relevanz der Entscheidung. Übergreifende Bedeutung kommt insbesondere den Ausführungen zu den bei der Gebietsauswahl zugrunde zu legenden Kriterien, zum mitgliedstaatlichen Spielraum bei der Auswahl und zur Bestimmung des Maßes an zu meldenden Gebieten zu.
Gibt es "potentielle Schutzgebiete" i. S. d. FFH-Richtlinie?
Anmerkung zum Urteil des BverwG vom 19. 5. 1998 4 A 9/97
Von wiss. Mitarbeiter Stephan Stüber, Kiel
Das BVerwG hat in zwei Entscheidungen zur Planfeststellung eines Teilabschnitts der A 20 südlich von Lübeck die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß es mangels Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) entsprechend dem Santoña-Urteil des EuGH zur Vogelschutz-RL auch potentielle FFH-Schutzgebiete gibt. Letztlich wurde die Frage offen gelassen. Nachfolgend soll untersucht werden, ob die EuGH-Rechtsprechung zur Vogelschutz-RL auf FFH-Gebiete übertragen werden kann, ob es also "potentielle FFH-Schutzgebiete" gibt.
Rechtsprechung
EGV Art. 5, 189; EG-Vogelschutz-RL Art. 4 Abs. 1 u. 4
- Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. 4. 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verstoßen, daß es Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt hat, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gebiete liegen, die geeignet sind, zu besonderen Schutzgebieten i. S. von Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie erklärt zu werden.
- Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle Gegenden zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten für die Erhaltung der betreffenden Arten erscheinen.
- Das IBA 89 ist das einzige Dokument, das die wissenschaftlichen Beweismittel für die Beurteilung der Frage enthält, ob der beklagte Staat seiner Verpflichtung nachgekommen ist, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten für die Erhaltung der geschützten Arten sind. Etwas anderes würde gelten, wenn das Königreich der Niederlande wissenschaftliche Beweismittel vorgelegt hätte, insbesondere um zu belegen, daß die genannte Verpflichtung dadurch erfüllt werden kann, daß nach Zahl und Gesamtfläche weniger Gebiete als nach der IBA 89 zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden.
EuGH, Urteil vom 19. 5. 1998 Rs. C 3/96 Kommission / Niederlande
- Eine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung i. S. von § 20f Abs. 3 Bundesnaturschutzgesetz setzt die planmäßige, eigenverantwortliche und auf Fortsetzung angelegte Bearbeitung und Bewirtschaftung des Bodens voraus. Eine "tägliche" Wirtschaftsweise ist nicht erforderlich.
- Das einmal im Jahr erfolgende Schneiden von Schilf ist nicht als ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung i. S. von § 20f Abs. 3 BNatSchG privilegiert.
BVerwG, Urteil vom 18. 6. 1997 6 C 3.97 (OVG Lüneburg)
GG Art. 14 Abs. 1; BNatSchG § 20c Abs. 1 und 3; LNatSchG SH § 15a
- Landesrecht wird auch dann nicht zu Bundesrecht, wenn es mit einer bundesrechtlichen Vorschrift wörtlich übereinstimmt und/oder es zur Ausfüllung eines Rahmengesetzes des Bundes ergangen ist. Deshalb wird die vom Kläger gestellte Frage nicht dadurch revisibel, daß er als verletztes Recht § 20c Abs. 1 BNatSchG als revisibles Bundesrecht bezeichnet (im Anschluß an BVerwG, Beschl. v. 25. 10. 1995 4 B 216.95, NuR 1997, 140).
- Dem Landesgesetzgeber steht aufgrund der Art. 20c Abs. 3, 75 Abs. 2 GG Spielraum für einen erweiterten Biotopschutz zu.
BVerwG, Beschluß vom 12. 3. 1998 4 B 10.98 (OVG Schleswig, NuR 1998, 558)
- Ist nach Landesrecht die Klage eines anerkannten Naturschutzverbandes auf das Vorbringen begrenzt, daß der angegriffene Planfeststellungsbeschluß den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes, des Landesnaturschutzgesetzes oder anderen Rechtsvorschriften widerspricht, die auch den Belangen des Naturschutzes zu dienen bestimmt sind, dann hat diese Begrenzung zur Folge, daß Fragen des Verkehrsbedarfs, der Kostenberechnung, der Lärmauswirkungen und andere Fragen nicht-naturschutzrechtlicher Art grundsätzlich unberücksichtigt bleiben müssen (hier: § 51c Abs. 1 Landesnaturschutzgesetz Schleswig-Holstein LNatSchG SH).
- Eine straßenrechtliche Planung, die sich im nachfolgenden Streckenabschnitt objektiv vor nicht überwindbaren Hindernissen sieht, verfehlt ihren gestaltenden Auftrag. Die damit aufgeworfene Frage der Realisierungsfähigkeit ist nicht aus der subjektiven Sicht der Planfeststellungsbehörde, sondern anhand objektiver Gegebenheiten zu beantworten.
- Als ein mögliches rechtliches Hindernis der Planverwirklichung sind auch die EG-Richtlinie v. 2. 4. 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG) Vogelschutz-RL und die EG-Richtlinie v. 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (92/43/EWG) Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) zu beachten.
- Das Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL erfaßt auch erhebliche Auswirkungen (Beeinträchtigungen), die Ursachen außerhalb des Gebietes haben.
- Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL ist dahin auszulegen, daß ein Mitgliedstaat der EU nicht befugt ist, die wirtschaftlichen Erfordernisse als Gründe des Gemeinwohls zur Durchbrechung des Schutzregimes zugrunde zu legen (im Anschluß an EuGH, Urt. v. 2. 8. 1993 Rs. C-355/90, NuR 1994, 521 Santoña).
- Es unterliegt rechtlichen Zweifeln, zu welchem Zeitpunkt Art. 7 FFH-RL dahin angewandt werden kann, daß für ein Vogelschutzgebiet das geminderte Schutzregime des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL maßgebend ist.
- Die rechtliche Möglichkeit eines sog. potentiellen FFH-Gebietes kommt in Betracht, wenn für ein Gebiet die sachlichen Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL erfüllt sind, die Aufnahme in ein kohärentes Netz mit anderen Gebieten sich aufdrängt und der Mitgliedstaat der EU die FFH-RL noch nicht vollständig umgesetzt hat.
- Aus dem Gemeinschaftsrecht folgt die Pflicht eines Mitgliedstaates der EU, vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer EU-Richtlinie die Ziele der Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine gleichsam vollendeten Tatsachen zu schaffen, welche später die Erfüllung der aus der Beachtung der Richtlinie gemäß Art. 5 Abs. 2 i. V. mit Art. 189 Abs. 3 EGV a. F. erwachsenen Vertragspflichten nicht mehr möglich machen würde Pflicht zur "Stillhaltung" (im Anschluß an EuGH, Urt. v. 18. 12. 1997 Rs. C-129/96, EuZW 1998, 167/170 Nr. 44 Inter-Environnement Wallonie).
- Es ist höchst zweifelhaft, ob einem Mitgliedstaat der EU bei der Auswahl der der EU-Kommission gemäß Art. 4 Abs. 2 FFH-RL zu meldenden Schutzgebiete ein politisches Ermessen zusteht. Art. 4 FFH-RL in Verbindung mit den Anhängen I bis III gibt für die Annahme eines nationalen Auswahlermessens nach Maßstäben politischer Zweckmäßigkeit keinen Anhalt.
- Dem Mitgliedstaat der EU ist es versagt, bereits während der Phase der Gebietsauswahl nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL seinen Interessen der wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Entwicklung den Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einzuräumen (im Anschluß an EuGH, Urt. v. 11. 7. 1996 Rs. C-44/95, NuR 1997, 36 Lappel Bank).
BVerwG, Urteil vom 19. 5. 1998 4 A 9.97
BJagdG § 28 Abs. 3; LJagdDVO § 14; BNatSchG §§ 20a Abs. 4, 20d Abs. 2; LVwVfG § 40
- Der Luchs (Lynx lynx) ist im Schwarzwald ein fremdes Tier i. S. des § 28 Abs. 3 BJagdG.
- § 28 Abs. 3 BJagdG räumt der in Baden-Württemberg zuständigen Obersten Landesjagdbehörde Ermessen bei der Entscheidung über einen Antrag auf Genehmigung des Aussetzens oder Ansiedelns fremder Tiere in der freien Natur ein.
- Die Ablehnung des Antrags auf Genehmigung des Ansiedelns des Luchses im Schwarzwald u. a. wegen der noch ungeklärten Regelung etwaiger Wildschäden an Haustieren, die durch den Luchs zu erwarten sind, ist ermessensfehlerfrei.
VGH Mannheim, Urteil vom 1. 12. 1997 5 S 2197/96
- Die Zulassung einer Beschwerde im Verfahren nach § 123 VwGO wegen ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt nicht in Betracht, wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt im Ergebnis richtig ist und die ernstlichen Zweifel sich erst aus einem veränderten Tatsachenvortrag ergeben, der auf nachträglich getroffenen Feststellungen beruht. In diesem Fall ist der Änderungsantrag beim Verwaltungsgericht entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO der verfahrensrechtlich geeignete Weg.
- Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) als Zulassungsgrund im Verfahren der einstweiligen Anordnung.
- Zur Frage der Antragsbefugnis nach § 123 VwGO, wenn ein anerkannter Naturschutzverband wegen unterlassener Befreiung (§ 39a Abs. 1 Nr. 2, § 31 BNatSchG) die Einstellung von Bauarbeiten begehrt (hier: Blauflügelige ™dlandschrecke im Baugebiet).
OVG Berlin, Urteil vom 1. 4. 1998 OVG 2 SN 10.98
WA Art. III Abs. 3; EG-VO Nr. 3626/82 Art. 10 Abs. 1a); EG-VO Nr. 338/97 Art. 4 Abs. 1 S. 2a)
- Zum Erfordernis und den Voraussetzungen der Erteilung einer Einfuhrgenehmigung für Teile (hier: 2 Stoßzähne, 2 Zähne, 2 Füße, 1 Ohr, 1 Schwanz) eines Afrikanischen Elefanten (wiss. Loxodonta africana).
- Die Voraussetzungen für die Erteilung einer derartigen Einfuhrgenehmigung liegen nicht vor, wenn es sich bei dem erlegten Elefanten um einen älteren Bullen handelte, der aus einer Population aus dem Grenzgebiet Tansania/Kenia stammte.
- Zur Frage der Selbstbindung des Bundesamtes für Naturschutz und der Begründung eines Vertrauensschutzes auf Erteilung der Einfuhrgenehmigung.
OVG Münster, Beschluß vom 3. 2. 1998 7 A 1967/97
BNatSchG § 20c Abs. 1 und 3; LNatSchG SH § 15a
- Der gesetzliche Schutz des Biotops Steilufer (§§ 20c BNatSchG, 15a LNatSchG SH), der den natürlichen Abbruch einschließt und den damit verbundenen Landverlust in Kauf nimmt, ist mit Art. 14 GG vereinbar.
- Eine Ausnahme bzw. Befreiung von dem Verbot zur Sicherung eines an dem Steilufer errichteten legalen Wochenendhauses kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt infrage, daß der Schutzwall aus Steinen, Sand und Bepflanzung nur einen geringen Teil der Steilküste betrifft.
OVG Schleswig, Urteil vom 19. 6. 1997 1 L 283/95
WWF Österreich
Wien, 8. Februar 2000
Die Ausbauvarianten aus naturschutzfachlicher Sicht
Variante "Leithagebirge"Von dieser Variante ist in erster Linie das zur Nominierung vorgeschlagene Natura 2000-Gebiet "Nordöstliches Leithagebirge" betroffen. Grundlage für den Nominierungsvorschlag bildete die von Birdlife Österreich erstellte Studie "Important Bird Areas in Österreich" (Dvorak & Karner 1995), in der das Nordöstliche Leithagebirge als eines von acht burgenländischen (bzw. als 1 von 58 österreichischen) Important Bird Areas (IBAs) identifiziert wurde. Die von BirdLife getroffene Auswahl der IBAs wird von der EU als Richtschnur für die in Österreich nach der Vogelschutzrichtlinie einzurichtenden Natura 2000 -Vogelschutzgebiete betrachtet.
Von daher müßte sich die Beurteilung der Variante Leithagebirge vor allem auf Vogelschutzaspekte konzentrieren. Da aber in dem Gebiet unter anderem auch 2 Lebensraumtypen großflächig vertreten sind, die nach der Fauna-Flora Habitatrichtlinie höchste Schutzpriorität besitzen - die "Pannonischen Eichen-Hainbuchenwälder" und die "Pannonischen Trockenrasen" - sind die speziellen Erfordernisse dieser Lebensgemeinschaften ebenfalls zu berücksichtigen.
Bei Realisierung der Variante Leithagebirge sind folgende negative Effekte auf Arten und Lebensräume zu erwarten:
- Flächenverlust und Monotonisierung im empfindlichen Übergangsbereichs zwischen Wald und offener Kulturlandschaft. Über weite Strecken verläuft die vorgeschlagene Trasse im strukturell reich gegliederten und biologisch besonders interessanten Randbereich des geschlossenen Waldgebiets. Die spezialisierten Bewohner dieses Saumbereichs wären von dieser Trassenführung besonders betroffen: ihr Lebensraum zeichnet sich ja nicht durch flächenhafte Ausdehnung, sondern durch Komplexität und Vielfalt der Grenzlinien auf kleinem Raum aus. Direkte Flächenverluste durch den Bau der Trasse und (allfälliger Zubringer in der Bauphase) fallen hier besonders ins Gewicht. Die strukturreichen und abgestuften Übergänge zwischen Wald und Offenland würden weiters durch die geradlinigen und abrupten Grenzzonen des unmittelbaren Straßenumfeldes ersetzt, mit dem Ergebnis einer erheblichen Monotonisierung. Unter den Vogelarten von europäischer Bedeutung (auf deren Vorkommen die Natura 2000-Würdigkeit des Gebiets beruht) wären von einer Zerstörung des Waldrandbereichs besonders Heidelerche, Sakerfalke und - in den dem Saum vorgelagerten Hecken und Buschgruppen - Sperbergrasmücke und Neuntöter betroffen.
- Barrierewirkung: die vielfach belegte Barrierewirkung von Straßen (z.B. Mader 1979) betrifft all jene Organismen, die in tages- oder jahreszeitlichem Rhythmus kleinere oder größere Ortsveränderungen durchführen - das Spektrum der Arten reicht hier vom Rothirsch bis zum Laufkäfer. Besonders fatale Auswirkungen sind wiederum im Übergangsbereich Wald/Offenland zu erwarten, da in dieser Zone besonders intensive Wanderbewegungen stattfinden. Hier sind nicht nur Arten unterwegs, die sich innerhalb eines Lebensraums bewegen, sondern zusätzlich noch jene Arten, die regelmäßig zwischen beiden Landschaftseinheiten hin- und herwechseln. Gerade dieser Gruppe von Tieren wird durch eine Barriere die Lebensgrundlage entzogen. Es ist zu betonen, daß eine Straße in der Größenordnung der geplanten für viele Organismen eine absolute Barriere darstellt. Die Einrichtung von "Grünbrücken" bedeutet nur für eine Minderheit unter den betroffenen Arten eine echte Problemlösung . Die Ortsveränderungen der meisten Kleintiere reichen nicht weit genug, um die notwendigerweise in größerem Abstand errichteten Grünbrücken erreichen zu können. Über weite Strecken bleibt die absolute Isolation der voneinander getrennten Populationen aufrecht.
- Empfindlicher Rückgang der Siedlungsdichte von Vogelarten in einem breiten Streifen entlang der Trasse. Umfassende Untersuchungen niederländischer Forscher (Reijnen et al. 1995) haben ergeben, daß die Siedlungsdichte vieler Waldvogelarten entlang von stark befahrenen Straßen empfindlich verringert ist. In einem Streifen von 250 m neben der Fahrbahn (DTV 10.000 Fahrzeuge) lag die Vogeldichte je nach betrachteter Art um 14-95% unter dem Wert unbelasteter Vergleichsflächen. Bei Strassen mit einem DTV von 10.000 Fahrzeugen erstreckte sich die Zone nachweisbarer Störungen auf bis zu 1,5 km, bei einem DTV von 60.000 Fahrzeugen sogar auf 2,8 km! Beim Fitis, einer Art, deren Dichte im gestörten Bereich "nur" um 30% reduziert war, ergab eine nähere Untersuchung, daß das straßennahe Gebiet (bis in 200 m Entfernung) überwiegend von konkurrenzschwachen Jungvögeln mit geringen Fortpflanzungsaussichten besiedelt war (Reijnen & Foppen 1991 und 1994). Anhand der Größenordnung des zu erwartenden Verkehrs auf der Leithagebirgs-Trasse ist durchaus mit ähnlichen Veränderungen der Siedlungsdichte und des Verteilungsmusters von Vogelpopulationen zu rechnen. Mit einem Vogelschutzgebiet von internationalem Rang wäre dies keinesfalls zu vereinbaren!
- Erhöhtes Tötungsrisiko für Vögel: Relief und naturräumliche Ausstattung entlang des Trassenverlaufs würden die Leithagebirgs-Variante zu einer für Vögel besonders gefährlichen Strecke machen. Steiof (1996) hat eine Reihe von "tötungsfördernden Eigenschaften von Straßen" aufgelistet; relevant sind für den vorliegenden Fall:
- das Vorhandensein von Strukturen mit Leitlinienwirkung quer zum Trassenverlauf (Hohlwege, Gräben, Täler, Hecken, Waldränder)
- das Vorhandensein reich strukturierter Lebensräume im Randbereich der Straße (z.B. Wälder, Feldgehölze).
- über die Umgebung erhöhte Straßenführung (z.B. Talquerungen)
- hohe Fahrgeschwindigkeit und Verkehrdichte, wobei es zu einer dramatischen Erhöhung der Opferrate schon ab Geschwindigkeiten von 40 km/h kommt.Das erhöhte Tötungsrisiko ist im Fall des geplanten Natura 2000-Vogelschutzgebietes unbedingt zu berücksichtigen, da eine der Arten, deretwegen das Schutzgebiet eingerichtet werden soll, als besonders unfallgefährdet gilt: der Ziegenmelker (Kuhn 1987). Ziegenmelker fallen selbst Kollisionen mit Mopedfahrern zum Opfer (Glutz v. Blotzheim & Bauer 1980). Da der Ziegenmelkerbestand des Nordöstlichen Leithagebirges nach Dvorak & Karner (1994) im günstigsten Fall nur 50 Brutpaare umfaßt (das sind zugleich 20% des gesamtösterreichischen Bestandes!) wiegt selbst der Verlust von einzelnen Individuen schwer. Die Errichtung einer vielbefahrenen Straße durch die vom Ziegenmelker bewohnten Wälder könnte zu einer bestandsgefährdenden Steigerung der Sterblichkeit bei dieser Art führen, was den Zielsetzungen des einzurichtenden Natura 2000 grob zuwiderliefe.
- Gravierende Vegetationsveränderungen durch Schadstoffimmissionen. Daß der Kraftfahrzeugverkehr die engere und weitere Straßenumgebung mit einer Reihe von Schadstoffen belastet, ist hinlänglich bekannt (Schwermetalle, Kraftstoffe und ihre Verbrennungsrückstände, Öle und Schmierfette, Reifenabrieb, Streusalz etc.). Aus Naturschutzsicht besonders relevant sind die Stickoxid-Emissionen, die einen wesentlichen Beitrag zum diffusen Stickstoffeintrag in aquatische und terrestrische Lebensräume liefern. Durch diese unbeabsichtigte und flächenhafte Düngung der Landschaft sind vor allem die nährstoffarmen Lebensräume Mitteleuropas, wie Hochmoore und Trockenrasen in ihrem Fortbestand gefährdet (Ellenberg 1994). Selbst in straßenfernen Gebieten sind bei diesen Lebensräumen massive Veränderungen in der Vegetation aufgrund des Stickstoffeintrags festzustellen. Jedes Näherrücken von Straßen an ein sensibles Gebiet erhöht unweigerlich die Belastung. Im Bereich des Leithagebirges wurden schon jetzt mittlere Stickstoffeinträge von 20 kg/ha und Jahr festgestellt (Krapfenbauer und Wagner 1991 zitiert in Scherzinger 1996), eine für nährstoffarme Lebensräume mittelfristig untragbare Belastung. Die Trassenvariante Leithagebirge führt unmittelbar an mehreren großflächigen Trockenrasen vorbei und zwar durchwegs so, daß wegen der vorherrschenden Windrichtung aus NW mit besonders hohem Eintrag zu rechnen wäre. Betroffen wären die national bedeutenden Trockenrasengebiete Thenauriegel bei Breitenbrunn, der Kirchberg bei Donnerskirchen und der Spittelberg; weiters liegen im Einflußbereich der Trasse zahlreiche regional bedeutende Trockenrasenvorkommen z.B. Zeilerberg, Hänge N und NNW Breitenbrunn, Am Spitz Purbach usw. (Holzner 1986). Die Mehrzahl dieser Flächen gehört zum Natura 2000 Gebiet "Neusiedler See-Seewinkel". Als hochwertige Repräsentanten eines prioritären Lebensraumtyps nach der FFH-Richtlinie waren sie mit ein Grund für dessen Ausweisung. Da das Burgenland auch aus gesamteuropäischer Sicht besondere Verantwortung für die Erhaltung der Pannonischen Trockenrasen hat, ist eine Gefährdung dieser Lebensräume durch verkehrsbedingten Stickstoffeintrag als ernstzunehmende Infragestellung des Schutzziels zu betrachten. Auch für die Waldgesellschaften des Leithagebirges wären gesteigerte Schadstoffimmisionen nicht bedeutungslos, insbesondere ist an eine Schädigung der Bäume durch bodennahes Ozon zu denken (Krapfenbauer und Wagner 1991).
- Veränderung des Mikroklimas im Waldbereich. Die Zerschneidung von Waldgebieten (incl. der Zerstörung des abgestuften Übergangs zwischen Wald/Offenland, der Öffnung des Waldmantels und der Öffnung von geschlossenen Hochwaldbeständen) führt zu einer Veränderung des Temperatur-, Feuchtigkeits und Lichthaushalts im Waldinneren mit dem Ergebnis, daß in der Vogelwelt die wenig flexiblen und wenig anpassungsfähigen Arten des Waldinnenklimas auf Kosten unempfindlicherer Arten zurückgedrängt werden (Scherzinger 1996). Unter den im Leithagebirge vorkommenden Arten des Anhang 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie ist der Halsbandschnäpper als empfindlich gegenüber derartigen Entwicklungen einzustufen.
Angesichts der zahlreichen negativen Effekte, die bei Realisierung der Projektvariante "Leithagebirge" speziell für die Vogelwelt zu erwarten sind, ist auch auf den Umstand hinzuweisen, daß die bislang unterbliebene Nominierung des "Nordöstlichen Leithagebirges" als Natura 2000-Vogelschutzgebiet keine Option für eine ungeprüfte Umsetzung des Bauvorhabens eröffnet. Der Europäische Gerichtshof hat in einem vielbeachteten Urteil festgestellt, daß ein Gebiet, welches aus fachlicher Sicht die Voaraussetzungen für die Erklärung zu einem Schutzgebiet nach der EU-Vogelschutzrichtlinie erfüllt, auch dann den Schutz dieser Richtlinie genießt, wenn der betreffende Mitgliedsstaat es verabsäumt hat, das Gebiet tatsächlich unter Schutz zu stellen (Urteil des EuGh zur Rechtsache C-355/90 vom 2. August 1993, sogenanntes "Santona-Urteil").
In einem weiteren Urteil wurde geklärt, daß ein Mitgliedsstaat nicht bereits bei der Auswahl und Abgrenzung eines Schutzgebietes zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses (nach Artikel 6 Absatz 4 der Vogelschutzrichtlinie ) Rechnung tragen kann. Zunächst ist allein von fachlichen Gesichtspunkten auszugehen, eine Interessensabwägung ist erst im Rahmen des Prüfverfahrens nach Artikel 6, Abs 2,3 und 4 möglich (Urteil des EuGh zur Rechtsache C-44/95 vom 11. Juli 1996, sogenanntes "Lappel Bank-Urteil") . Konkret bedeutet dies, daß für das Land Burgenland weder die Einrichtung eines Natura 2000 Vogelschutzgebiets im Nordöstlichen Leithgebirge noch die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung im Sinne der Vogelschutzrichtlinie zu vermeiden sein werden! http://standpunkt_wwf_natur.htm
Wir betonen, dass wir weder Rechtsanwälte sind, noch solche beschäftigen. Demzufolge ist dies hier nur eine subjektive Meinungsäußerung eines Windkraftgegners, welcher Gleichgesinnten seine Meinung bzw. Quellensammlung mitteilt. Wir sehen dies nicht als eine Rechtsberatung an und werden uns hüten, eine solche in irgendeiner Weise anzubieten.