Können sich Brutvögel mit Windkraftanlagen arrangieren?
Von Michael Deussen und Günter Ratzbor

Im Sommer 2000 begann auf dem Stadtgebiet Emdens die Errichtung des Windparks Wybelsumer Polder. Noch im selben Jahr konnte ein Großteil der Windkraftanlagen (Enercon E 66, 100 Meter Gesamthöhe, 1,5 MW) in Betrieb genommen werden.
Foto: Ein Teil des Windparks Wybelsumer Polder

Bekanntermaßen birgt die großmaßstäbliche Nutzung der Windenergie ein enormes Konfliktpotenzial mit dem Naturschutz. Befürchtete oder tatsächliche Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Natur und Landschaft sind teilweise heftig umstritten. Von Vertretern des Artenschutzes werden insbesondere Lebensraumverluste für Brut- und Rastvögel beklagt. Wieweit ein zwangloses Nebeneinander von Artenschutz und umweltfreundlicher Windenergie tatsächlich möglich ist, wird zurzeit selbst innerhalb des Naturschutzes noch kontrovers diskutiert. Unter anderem geht es um die fachliche Einschätzung der Empfindlichkeit von Vögeln gegen Windkraftanlagen.

Vor diesem Hintergrund stellt die wissenschaftliche Begleitung des Windparks Wybelsumer Polder die einzigartige Gelegenheit dar, die tatsächliche Gefährdung von Zugvögeln über die gesamte Laufzeit eines Windenergie-Großprojektes zu verfolgen und zu dokumentieren (hierzu siehe auch Wind-Kraft Journal 3 + 5/2000).

Aber nicht nur Zugvögel, sondern auch Brutvögel nehmen die Artenschützer "ins Visier". Früher ging man vielfach davon aus, dass sich insbesondere im direkten Nahbereich in einem Umkreis von 500 Metern um eine Windkraftanlage keine nennenswerten Bestände von Brutvögeln mehr ansiedeln. Inzwischen liegen für Windkraftstandorte im Küstenraum einige Studien an häufig zu beobachtenden Brutvogelarten vor. Diese ergaben seltsamerweise, dass die selben Arten bei der Wahl ihrer Brutplätze an verschiedenen Standorten sehr unterschiedliche Abstände zu Windkraftanlagen einhalten. In der Folge entwickelten Naturschutzfachleute auch unterschiedliche Auffassungen über die Verwertbarkeit dieser scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse bei der Planung von Windkraftstandorten. Im Laufe der fachlichen Diskussion wurde der angenommene Störradius in der Regel auf 100 Meter reduziert.

Im Zuge der wissenschaftlichen Begleitung des Windparks Wybelsumer Polder wurde im Jahr 2001 vor allem auch der Brutvogelbestand eines Teilgebietes des Wybelsumer Polders untersucht. Bei diesem Teilgebiet handelt es sich um eine nach naturschutzfachlichen Gesichtspunkten hergerichtete Fläche im westlichen Bereich des Wybelsumer Polders. Früher wurde auf dieser Fläche Ackerbau betrieben, danach Klei für den Deichbau entnommen. Im Jahr 1999 schließlich erfolgten großflächige Bodenmodellierungen und die Anlage mehrerer Wasserflächen. Diese Maßnahmen dienten zum Teil der Kompensation verschiedener Projekte, die nicht im Zusammenhang mit der Errichtung des Windparks stehen. In unmittelbarer Nähe dieses Gebietes wurde dann im Jahr 2000 ein Teil des Windparks Wybelsumer Polder errichtet. Zum Zeitpunkt der Brutvogelerfassung bestand das Untersuchungsgebiet überwiegend aus teilweise lückigen und teilweise überschwemmten, niedrigwüchsigen Sukzessionsfluren sowie zu etwa einem Viertel aus offenen Wasserflächen.

Foto: Umgestaltete Kleientnahme am Windpark Wybelsumer Polder mit rastenden Gänsen

Knapp ein Jahr nach der Inbetriebnahme des Windparks stellten sich auf den umgestalteten Flächen jede Menge unterschiedlichster Brutvögel ein, die es dort vorher nicht gab. Diese Entwicklung ist jedoch nicht dem Windpark, sondern der zuvor gesteigerten Attraktivität der Flächen zuzuschreiben. Bei der Untersuchung konnte festgestellt werden, dass neben einigen anderen selbst solche seltenen und gefährdeten Arten wie Säbelschnäbler, Sandregenpfeifer, Kiebitz und Rotschenkel direkt neben den Windkraftanlagen in einem Abstand von 70 bis 20 Metern, also weit weniger als 100 Metern brüteten. Gerade auch bei diesen Arten gingen Naturschutzfachleute bisher von einer Verdrängung aus dem direkten Umfeld von Windkraftanlagen aus.

Foto: Rotschenkel (eigenes Foto, oder Kiebitz "geklautes" Foto), einer der Brutvogel in unmittelbarer Nachbarschaft zu Windkraftanlagen

Als Fazit können folgende Überlegungen angestellt werden: die herkömmliche Vorgehensweise bei der Planung von Windkraftstandorten, wonach im Umkreis von 500 bzw. 100 Metern um eine Windkraftanlage pauschal von einem Totalverlust des Lebensraumes für alle Brutvögel auszugehen ist, scheint überholt zu sein. Statt dessen scheint die Empfindlichkeit von Brutvögeln gegen Windkraftanlagen weit geringer zu sein als bislang angenommen. Umfangreiche Untersuchungen an anderen Windkraftstandorten kommen zu vergleichbaren Ergebnissen (Reichenbach et al. 2000). Bei der Bewertung der Eingriffserheblichkeit eines Windparks sollte daher zwischen Empfindlichkeiten einzelner Arten unterschieden und diese entsprechend planerisch berücksichtigt werden. Möglicherweise kann für einzelne Arten eine Störung durch Windkraftanlagen vollständig ausgeschlossen werden oder zumindest auf den unmittelbaren Nahbereich reduziert werden, wobei Störungen dann eher vom Betrieb um die Anlage als von der Anlage selbst ausgehen dürften.

Literatur:
Reichenbach, M.; Ketzenberg, C.; Exo, K. L. & Castor, M. (2000): Einfluss
von Windkraftanlagen auf Vögel - sanfte Energie im Konflikt mit dem
Naturschutz? Teilprojekt Brutvögel. Institut für Vogelforschung "Vogelwarte
Helgoland" und ARSU GmbH, Wilhelmshaven und Oldenburg.

Anschrift der Autoren:
Ingenieurbüro für Umweltplanung
SCHMAL + RATZBOR
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